Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Alexishuette

Helmut Lensing

Ein Hauch von Ruhrgebiet – Die Alexishütte in Wietmarschen

Mit mehreren Jahrzehnten Verspätung erreichte die Industrialisierung auch Deutschland. Startschuss gab die Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie Ende 1835 zwischen Nürnberg und Fürth. Dieser enorme Fortschritt ermöglichte Transporte von großen Gütermengen über weite Entfernungen in kurzer Zeit und erhöhte zugleich die Mobilität der Menschen. So entstanden in den Folgejahren überall im Deutschen Bund neue Eisenbahnlinien, neue Fabriken produzierte Güter, die schnell ihren Weg zum Kunden finden konnten. Treibmittel dieser Industrialisierungsphase waren neben der grundlegenden Dampfmaschine Eisen und Kohle: Kohle, um die Maschinen und Lokomotiven anzutreiben; Eisen, um Lokomotiven, Waggons, Gleise und Brücken herzustellen. Der Hunger nach Eisen und Kohle wuchs stetig.
Ein Raseneisenstein in Wietmarschen vor dem Mühlenstumpf - Bild: HL
Dadurch geriet ein Rohstoff in den Blick von Geschäftsleuten, der in der Niedergrafschaft und im Raum Meppen zu finden war: Raseneisenerz. 1856 wurde so in Meppen eine Firma zur Eisenerzverhüttung gegründet, um diese heimischen Bodenschatz zu verarbeiten. 1859 ging die Hütte in Betrieb. In der Grafschaft war man aber noch schneller. Ein Konsortium mit Mitgliedern aus Dortmund und Hamm, dem Besitzer der Baccumer Ziegelei sowie dem fürstlichen Oberförster Carl Brill aus Neuenhaus gründete 1854 die Firma „Werner & Co.“, die in Wietmarschen die „Alexishütte“ errichtete. Namensgeber war der amtierende Fürst von Bentheim.

1855 wurde die Hütte eingeweiht. Dort stellte man zunächst Öfen, Ofenplatten, Eisenfenster und dergleichen her, später wurde vornehmlich Roheisen verkauft. Die Aussicht auf Gewinne ließen eine weitere Gesellschaft entstehen, die in Lingen eine Eisenhütte bauen wollte. Diese kaufte dann aber den bisherigen Gesellschaftern 1856 die Alexishütte ab und ließ diese weiter ausbauen. Die Mehrheit der Aktien lag beim Bentheimer Erbprinzen Ludwig und dem Lingener Bankier Ludwig Langschmidt. Die Eisenproduktion stieg auf 32.260 Zentner Roheisen im Jahr 1861. In den folgenden Jahren sank sie jedoch beträchtlich.

Es arbeiteten 161 Mann bei der Hütte, in der Hochzeit sogar 242 Männer, wobei ein Teil in der Eisenproduktion tätig war, andere das Raseneisenerz abbauten, Holz- und Torfkohle produzierten oder als sich Handwerker betätigten. Aus Wietmarschen selbst stammte nur ein geringer Teil der Arbeitskräfte, 55 kamen aus der Grafschaft, Holzarbeiter und Köhler  aus Thüringen. Für so viele Menschen war gar kein Wohnraum in Wietmarschen vorhanden, weshalb viele lange Wege nach Hause auf sich nahmen, wenn sie keine Unterkunft in eilig hochgezogenen Gemeinschaftsquartieren „auf der Hütte“ fanden.

1863 ging die Alexishütte in Konkurs. Dies hatte mehrere Ursachen. Ein wichtiger Grund war die ungünstige Verkehrlage. Die Hütte verfügte nicht wie in Meppen über einen direkten Anschluss an Eisenbahn und an einem Wasserweg, so dass hohe Transportkosten anfielen, um Kalk für den Hochofen anzufahren und das produzierte Eisen zu den Kunden zu bringen. Mit Fuhrwerken musste alles vom Bahnhof in Elbergen nach Wietmarschen und von Wietmarschen nach Elbergen transportiert werden.

Darüber hinaus war das Eisen aus dem hier benutzten Raseneisenerz relativ spröde, schwerer schmiedbar und nicht überall einzusetzen. Daher musste dem Raseneisen Schrott oder englisches Roheisen beigefügt werden, um dessen Eigenschaften zu verbessern. Dieses verursachte neue Kosten, auch für den mühsamen Transport nach Wietmarschen. Darüber hinaus war es zu seinem starken Preisrückgang für Eisen gekommen.

Doch neue Geldgeber sprangen ein, die Produktion wurde wieder aufgenommen. Die nächste Krise kam 1866/67. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, waren weitere Investitionen notwendig. Doch der Fürst von Bentheim, der schon viel Geld beim Betrieb der Hütte verloren hatte, mochte indes nicht noch mehr investieren. Er ließ sich letztlich doch dazu bewegen, nachdem der Lingener Bankier Ludwig Narjes, ein Stiefsohn Ludwig Langschmidts, mit in das Unternehmen einstieg. Die Produktion wuchs wieder.

1870 produzierte man 10.000 Zentner Eisen und die Hüttengesellschaft wurde an die Hamburger Firma „S. Elkan & Co.“ verkauft. Im Zuge der Hochkonjunktur infolge des deutsch-französischen Kriegs mit seiner großen Nachfrage nach Eisen stieg die Produktion bis 1873 auf 106.333 Zentner Eisen an. Um die hohen Transportkosten zu senken, die die Wettbewerbsfähigkeit der Hütte stark einschränkten, war inzwischen der Plan einer „Pferdebahn“ geboren worden. Mit einem Schmalspurgleis von der Hütte bis zum Bahnhof Elbergen sollten die Frachtkosten drastisch reduziert werden. So wurden Grundstücke erworben und alle Vorkehrungen getroffen, die Frachten in von Pferden gezogenen Waggons über Gleise zu transportieren. 1873 ging die Pferdebahn in Betrieb.

Doch dann kam die „Gründerkrise“. Ein Jahr nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs sanken die Eisenpreise, und durch die Wirtschaftskrise bald nach der Gründung des Kaiserreichs sanken Eisenpreis und die Nachfrage nach Eisen noch weiter. Die Alexishütte war trotz der neuen Pferdebahn nicht mehr konkurrenzfähig. So stellte die Hamburger Firma im April 1874 die Eisenverhüttung in Wietmarschen ein; diesmal endgültig.

Das Gebäude der Hütte wurde Jahre später ein Raub der Flammen. Zurück blieb noch lange ein Berg von Schlacke, den Überresten der Eisenherstellung. Die Schlacke fand später Verwendung bei der Straßenbefestigung. Auf dem Gelände dieses „Schlackeberges“ entstand Anfang der 1960er Jahre die Neubausiedlung „Schlackenbölt“ – heute eine der wenigen Erinnerungen an die frühe Industriegeschichte Wietmarschens und der Grafschaft. Ansonsten zeigen vor Ort nur noch Straßennamen wie „An der Alexishütte“, wo damals ein kleines Industriezentrum der Grafschaft gestanden hat.

Zwar war das Kapitel „Eisenverhüttung in der Grafschaft Bentheim“ mit der Schließung der Alexishütte beendet. Doch der Abbau des Raseneisenerzes wurde fortgesetzt. Die Firma „Elkan“ lieferte daher etwa 1888 noch 21.000 Tonnen Raseneisenerz per Bahn oder per Schiff über einen Hafen am Süd-Nord-Kanal ins Ruhrgebiet, wo es entweder verhüttet wurde oder als Mulm zur Gasreinigung diente. Ein ehemaliger Angestellter der Hütte, Heinrich Brinkers, machte sich als Erzförderer selbstständig. Bis in die 1960er Jahre baute so die Firma „Brinkers“ in der Region noch Raseneisenerz ab.
Eine Mauer aus Raseneisenstein - Bild: HL
Denkmal eines "Urbrekers" in Wietmarschen - Bild: AB
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