Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Chronik 1938

Alois Brei

Grafschafter Chronik 1938

1. April 1938

Alle Schulen des Landkreises werden in Gemeinschaftsschulen umgewandelt, die konfessionelle Bindung aufgegeben. Einige Schulen in Nordhorn werden umbenannt: Die Altendorfer Schule wird zur Walter-Flex-Schule, die Katholische Marienschule zur Dietrich-Eckart-Schule, die Frensdorfer Schule zur Hans-Schemm-Schule. Die Umwandlung wird in Nordhorn durch einen Aufmarsch aller Schulen gefeiert, an dem 4000 Kinder teilnehmen, Kreisleiter Dr. Ständer hält eine Ansprache.

10. April 1938

Bei der Abstimmung über den Beitritt Österreichs zum "Großdeutschen Reich" und über die NSDAP-Einheitsliste für den "Großdeutschen Reichstag" werden im Landkreis 37.149 Ja-Stimmen (94 %) und 2287 Nein-Stimmen (5,8 %) abgegeben. Die Wahlbeteiligung liegt bei 99,1 Prozent. In Schüttorf werden 11,3 % Nein-Stimmen gezählt.

Mai 1938

Landrat Hans Hermann Rosenhagen  wird verhaftet und als Landrat abgesetzt. Er wird aus der NSDAP ausgestoßen. Hintergrund ist vermutlich eine homosexuelle Beziehung zu einem SA-Mann. Das weitere Schicksal Rosenhagens ist bisher unbekannt. Seine Nachfolger als NSDAP-Landräte sind Hans Blendermann (1938), Franz Münkley (1938 - 1945), Paul Wege (Vertreter Münkleys von 1942 - 1944), Zander (Vertreter 1944 - 1945), Ernst Wallhöfer (Vertreter 1945). 

9./10. November 1938 in Nordhorn

In Nordhorn wird das Innere der Synagoge von SA-Leuten zerstört. An dieser Stelle war 1814 eine Synagoge errichtet worden, die allerdings 1871 vollständig ausbrannte und drei Jahre später durch einen Neubau in unmittelbarer Nachbarschaft ersetzt wurde. Nach der Zerstörung wird das Gebäude bis auf den Boden abgetragen. Die jüdische Gemeinschaft soll die Zerstörung ihres Zentrums selbst bezahlen: „Abbruchkosten der Synagoge“ und „Wiederherstellung des Straßenbildes“ wurden eingefordert. 

9./10. November 1938 in Neuenhaus

Seit 1685 lebten jüdische Familien in Neuenhaus und in Uelsen, seit 1723 in Veldhausen und seit 1771 auch in Lage. Am Wittenkamp gibt es einen jüdischen Friedhof, auf dem noch 57 Grabsteine erhalten sind. Damit ist er der größte jüdische Friedhof in der Grafschaft Bentheim. Auch in Neuenhaus gibt es 1938 eine Synagoge der nur noch etwa 25 Personen umfassenden jüdischen Gemeinde. In der Nacht vom 9. auf den 10. November wird Bürgermeister Winkelmann in der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr geweckt. Auf der landrätlichen Hilfsstelle wird ihm von einem Gestapobeamten die Weisung des SS-Gruppenführers Heydrich bekannt gegeben. Demnach sind auf Grund des Attentats gegen den Leg. Sekr. von Rath in Paris Maßnahmen gegen Juden durchzuführen. Wörtlich heißt es im entsprechenden Fernschreiben:


a) Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen (zB. Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist).
b) Geschäfte und Wohnungen von Juden dürfen nur zerstört, nicht geplündert werden. Die Polizei ist angewiesen, die Durchführung dieser Anordnung zu überwachen und Plünderer festzunehmen.
c) In Geschäftstraßen ist besonders darauf zu achten, daß nicht jüdische Geschäfte unbedingt gegen Schäden gesichert werden.

d) Ausländische Staatsangehörige dürfen - auch wenn sie Juden sind - nicht belästigt werden.


Diese Anordnungen sind auch an den SA-Führer Bober und an den Ortgruppenleiter Schlüter gegeben worden. Bober ruft etwa 10 SA-Männer zusammen und gibt bekannt, dass zunächst sämtliche Wohnungen jüdischer Einwohner demoliert werden sollen. Die SA-Männer ziehen noch in der Nacht los und zerschlagen Türen und Fenster, im Hause Salomonsohn werfen sie Einrichtungsgegenstände um, zerstören das Radio und zerschneiden Bettzeug. Draußen zerschlagen sie Straßenlaternen und bedrohen Neugierige. Die Zerstörungen werden von Gestapobeamten in einem Kraftwagen überwacht. Die jüdischen Händler Steinburg und Süsskind werden festgenommen, in das Gerichtsgefängnis Neuenhaus gebracht, am gleichen bzw. am nächsten Tag wieder freigelassen.


Nach der Verwüstung der Wohnungen dringen die SA-Leute in die Synagoge ein und zertrümmern die Einrichtung des Andachtsraumes. Bücher, Gesetzesrollen und Kultgegenstände werden angezündet, das Dach abgedeckt, Dachbalken auf die Straße geworfen. Das Gebäude wird in den nächsten Tagen vollständig abgetragen. Auf Befehl des SA-Führers Bober werden außerdem Manufakturwaren aus dem Geschäft Steinburg abtransportiert, in das Haus des Kaufmanns Peters gebracht und später durch einen "Treuhänder" an den Bruder des Ortsgruppenleiters Schlüter verkauft.


Wegen der Teilnahme an dieser Aktion werden fünf ehemalige SA-Männer im Juli 1949 vor dem Schwurgericht in Osnabrück angeklagt. Einer erhält drei Monate Gefängnis, drei werden zu Geldstrafen von 100,-, 300,- und 600,- DM verurteilt, einer wird mangels Beweises frei gesprochen.

 

9./10. November 1938 in Bentheim

Die Inneneinrichtung der Synagoge in der Wilhelmstraße wird völlig verwüstet. Einen Tag später setzen Schüler das Zerstörungswerk fort und schleppen das zerschlagene Inventar ins Freie. Einem Anwohner gelingt es, die herumliegenden Ritualgegenstände in Sicherheit zu bringen. 1949 werden sie der Jüdischen Gemeinde Hannover übergeben. Das Kaufhaus des Kaufmanns Albert Wertheim wird geplündert. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Egon Neter, wird gezwungen, das Synagogengrundstück der Stadt zu ‚vermachen’, die es ihrerseits Mitte 1939 an eine Privatperson veräußert. Bis Mitte 1939 verlassen fast alle jüdischen Bewohner die Stadt Bentheim. Diejenigen, die im benachbarten Holland Zuflucht finden, werden von den nationalsozialistischen Verfolgungspolitik wieder eingeholt. Mindestens 17 Bentheimer jüdischen Glaubens werden Opfer der Shoa. 

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