Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Chronik 1945

Alois Brei

Grafschafter Chronik 1945

22. März 1945

Der Verleger Georg Kip berichtet im Jahrbuch des Heimatvereins 1958 über den Nachmittag dieses Tages, einem Donnerstag, in Nordhorn: "Ein ganzer Verband von Flugzeugen stand über unserer Stadt und schon wirbelten auch Stabbrandbomben in dichter Fülle herunter. ... So dicht wie möglich an eine Palisadenwand gedrückt, beobachtete ich, wie die Brandbomben in dichten Trauben herunterprasselten. Soweit sie in Griffweite kamen, schleuderte ich sie in den Garten Niehues, wo sie keinen Schaden anrichten konnten. ... 

Das Bombardement dauerte nicht lange, bald wurde Entwarnung gegeben. Doch wie sah es rings um mich aus! Vor mir, aus der Villa Dütting, qualmte es auf; das Mehrfamilienhaus, das sich an den Besitz Niehues anschloss, stand in Flammen. ... Hier gelang es im Nu, das Feuer zu löschen. Auch im Hause Dütting war Unterstüztung nicht notwendig. ... lange Wassergartenschäuche standen zur Verfügung. ... Ringsumher brannte eine Reihe von Häusern lichterloh. An der Bahnhofstraße wurden u. a. die Häuser Ernst Krieter und das ... Haus Stroink völlig vernichtet. 

In der Blickstiege standen zahlreiche Häuser in lodernden Flammen, ebenfalls in der weiteren Umgebung. ... Auch die Stroinksche Fabrik am Bahnhof war von zahlreichen Brandbomben getroffen worden, und sie brannte noch nach vielen Stunden an vielen Stellen. ... Dieser 22. März des Schicksalsjahres 1945 hat sich unauslöschlich in das Gedächtnis eingegraben - er war einer der größten Unglückstage in unserer Stadt. Bis spät in den Abend dauerten die Rettungsarbeiten.

 1. April 1945

Auf diesen Tag fällt in diesem Jahr der Ostersonntag. Lehrer Kip schreibt über das Ende des Krieges in der Schulchronik der Volksschule Lage: Ostern zogen die Reste unserer Truppen zurück. Am 2. Ostertage kamen dann die letzten Reste, ein geschlagener Haufen, ohne Waffen, mit allen nur denkbaren Fahrzeugen, Rollwagen, Ackerwagen, Fahrrädern mit und ohne Bereifung, zum Teil kamen auch einige mit Autos. Auf der Neustadt an der Denekamperstraße wurde eins von einem verfolgenden Panzer beschossen. Dabei wurde der Fahrer, ein Italiener, verwundet. Er wurde von Gülink von der Neustadt ins Neuenhauser Krankenhaus gebracht, wo er an den Folgen der Verwundung starb. Bei der Schießerei war eine Roggendieme von Hofste in Brand geraten. Als die Neustädter versuchten, sie zu löschen, wurden sie von einem Tiefflieger beschossen, dabei wurde Hermann Engbers ganz leicht an der Schulter verwundet. Die ersten alliierten Panzer erschienen am gleichen Tage auf der Neustadt. Sie kamen von der Denekamperstraße und fuhren auf der Straße Lage-Grasdorf bis zu den Zollhäusern. Vermutlich wollten sie die Straße Neuenhaus-Nordhorn beobachten.

Am Dienstag und Mittwoch ereignete sich nichts. Die Geschäfte in Neuenhaus verkauften frei Stoffe. Harger Neuenhaus belieferte die Geschäfte mit dem so begehrten Tabak, die Metzger gaben die eingelagerte Pökelware, vor allem Speck, pro Person 1 Pfund, ab. Am Donnerstagnachmittag erschienen dann die ersten Panzer vor dem Zollamt im Dorfe. Die Panzersperre im Dorf war schon am Dienstag von den Einwohnern schnellstens entfernt. Von nun an rollten täglich hunderte von Panzern und Automobilen in langen Reihen durchs Dorf. Die Straße vor der Schule war davon zerstört, die Pflastersteine lagen im Graben und auf dem Bürgersteig. Die Bewohner wurden in keiner Weise von den durchziehenden Truppen belästigt! Ende April ließen die Transporte sehr stark nach.

2. April 1945

Georg Kip berichtet im Jahrbuch des Heimatvereins 1958 über die Ereignisse am zweiten Ostertag 1945 in Nordhorn: Nordhorn wird verteidigt! Nein, die Stadt soll kampflos übergeben werden! ... Was war nun wahr? Die zivilien verantwortlichen Männer wollten von dem sinnlosen Kampf nichts wissen. Sie bedrängten die Militärs, rechtzeitig abzurücken. Die verantwortlichen Militärs lehnten aber solches Ansinnen ab. ... Lieber auch den sinnlosesten Befehl ausführen, als am nächsten Baum aufgehängt zu werden.

Eine Pionierabteilung unter der Führung eines Leutnants bereitete seit dem ersten Feiertag die Sprengung der Nordhorner Brücken vor. Tiefe Löcher wurden gebohrt und Sprengladungen angebracht. Den ganzen Vormittag des zweiten Ostertages wurden die schrecklichen Arbeiten fortgesetzt. ... Alle Beschörungen nutzten nichts, der Offizier hielt sich an die Befehle seiner Oberen. ... Ein bekannter Arzt wurde mit einer Maschinenpistole bedroht, wenn er nicht sofort die Brücke verlasse. ... Polizisten und Soldaten eilten in alle Häuser, die in der Nähe der Brücken lagen. Innerhalb kurzer Zeit müssen sie von den Bewohnern geräumt werden. ... Da man keine Zeit für die ordnungsgemäße Anbringung der Sprengladungen hatte, legte man sie kurzerhand auf die Brücken, so dass die Sprengwirkung mehr auf die Häuser ging und diese mehr zerstörte als die Brücken selbst. ...

Abgespannt und blass hatten die Menschen ihren Platz im Luftschutzkeller eingenommen ... als sie heftige Detonationen hören und teilweise auch von dem im Keller spürbaren Luftdruck zurückgeworfen werden. Die Häuser waren zum Teil arg mitgenommen. Breite Risse in den Wänden, das Dach teils ganz, teils erheblich abgedeckt, die Innenwände zum Teil eingedrückt, Möbel umgeworfen, Fensterscheiben nahezu restlos zertrümmert.  Das Unglück war geschehen, die Pionieren hatten den Sprengbefehlt ausgeführt. Vollkommen nutzlos, wie sich nur zu schnell herausstellen sollte. ...

Die kanadischen Verbände (- Kip bezeichnet sie auch 1958 immer noch als "Truppen des Feindes" - ) hatten den ersten Widerstand in der Nähe des Hofes Rigterink gefunden. ... Der Hof Rigterink ging dabei in Flammen auf. Die Panzer der Kanadier fuhren von der Denekamper Straße aus weiter; an den Häusern flatterten schon vielfach weiße Fahnen. Als Wegweiser hatte man sich den ersten besten Mann von der Straße migenommen, ihn auf einen Panzer gezwungen und sich von ihm den Weg nach der Hauptstraße zeigen lassen. ... Dann die Brücke am Bentheimer Tor. Ihre Sprengung bedeutete für den Gegener nichts, er ließ sich gar nicht aufhalten, sondern seine technischen Truppen kamen mit einrr "Baily-Brücke", die sie neben der gesprengten Brücke über die Vechte legten.  ...

Nur wenige Zeit später rollten die Panzer weiter in die Hauptstraße hinein. Die Lingener-Tor-Brücke über die Vechte war ebenfalls gesprengt. Hier das gleiche Manöver. Die Baily-Brücke wurde herangenbracht, der Schauplatz durch die in Brand gesetzten Häuser Heemann und Scheffer hell erleuchtet. ... Als sich Nachbarn bemühten, die Brände zu löschen, wurden sie mit Maschinengewehrpistolen bedroht. Die Häuser brannten nieder. ... Das traurige Schauspiel wiederholte sich bei der Kanalbrücke im Zuge der Lingener Straße. Hier musste der Gasthof Möllers als Leuchtfackel dienen.

5. April 1945

Die 4th Canadian Armoured Division besetzt Twist westlich des Süd-Nord-Kanals. Kurz vor ihrem Eintreffen werden die Brücken über den Süd-Nord-Kanal gesprengt … Kanadische Truppen überqueren die Grenze bei Getelo. Drei Hitlerjungen schießen abends in Neuenhaus auf die kanadischen Soldaten. Sie werden ebenso wie der örtliche Hitlerjugendführer am folgenden Tag festgenommen. In der Schulchronik von Laar ist unter dem Schuljahr 1945/46 notiert: Schon am 6.4.1945 wurden Laar und die Grafschaft Bentheim von den Engländern besetzt. Holländer und Polen kamen mit den Truppen in unser Dorf. Am 5. April 1945 ziehen kanadische Truppen in Eschebrügge ein.

10. April 1945

An diesem Tag nach dem Mittessen arbeitet Pastor Stuntz in Laar im Garten. Er will dort Kartoffeln setzen. Da nähern sich zwei Polen, vermutlich ehemalige Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter. Als sie in das Haus gehen, flüchten die Töchter und die Frau des Pastors, die sich in einem Zimmer eingeschlossen haben, durch das Fenster zu Nachbarn. Pastor Stuntz klettert von außen durch das Fenster, um die verschlossene Tür zu öffnen. Als die beiden Polen das benutzte Bett in dem Zimmer sehen, treten sie auf den Pastor ein. Einer der beiden ist alkoholisiert und schießt Stuntz an. Dieser kann noch schwer verletzt zu Nachbarn humpeln. Die Töchter wollen in Emlichheim Hilfe holen. In Vorwald treffen sie auf einen polnischen Arzt, der mit einem Krankenwagen zum Haus des Nachbarn fährt. Pastor Stuntz wird mit diesem polnischen Krankenwagen, begleitet von dem Arzt, einer Tochter und seiner Frau nach Neuenhaus ins Krankenhaus gebracht. Dort stirbt er.

Herbst 1945

Schüttorf wird von polnischen Truppen unter dem Befehl des Panzergenerals Anders besetzt. Es kommt zu Übergriffen, polnische Soldaten schlagen wahllos junge Männer zusammen. Der 13jährige Heinz G. wird von angetrunkenen Polen auf dem Hafermarkt gepackt. Er soll sich als "deutsches Schwein" bezeichnen und den Polen die Schuhe küssen. Da der Junge nicht versteht, was man von ihm will, schlägt ihn einer der Soldaten zusammen und tritt nach ihm. Zwei Nachbarn beobachten den Vorfall, befreien den Jungen und bringen ihn zu seinen Eltern. Der Vater ist aufgebracht und will sich auf der Kommandantur beschweren. Doch man redet ihm zu und bringt ihn von seinem Vorhaben ab.

Eines Tages findet man einen als Schläger bekannten polnischen Besatzungssoldaten in einem Regenwassergully tot auf. Einige jugendliche Schüttorfer werden des Mordes verdächtigt, aus Mangel an Beweisen jedoch frei gesprochen.

Einige der polnischen Besatzungssoldaten werden durch die Teilung Polens heimatlos und können nicht mehr zurück. Sie bleiben in Schüttorf, finden Arbeit und gründen Familien.
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