Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Heuerlinge

Helmut Lensing

Das Leben der Heuerlinge

Im Nach dem Dreißigjährigen Krieg, vor allem aber in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bildete sich in den ländlichen Regionen Westfalens und Nordwestdeutschlands eine Bevölkerungsschicht heraus, die man als Heuerleute oder Heuerlinge bezeichnet. Sie waren oft Abkömmlinge von Bauern, die keine eigene Hofstelle erbten. Sie wohnten in Nebengebäuden und ernährten sich von kleinen Flächen, die ihnen der Bauer überließ. Sie waren verpflichtet, auf dem Hof Hand- und Spanndienste zu leisten, insbesondere in der Erntezeit.
Denkmal für die drei Podagristen vor dem Kurhaus Bad Bentheim
Die eigene kleine Landwirtschaft reichte fast nie aus, um die oft kinderreichen Heuerlingsfamilien zu ernähren. Viele Heuerleute lebten am Rande der Existenz.

Die Männer verdingten sich oft als Saisonarbeiter, sogenannte Hollandgänger. Manche verdienten sich ein Zubrot durch Heimarbeit als Spinner und Weber.

Wie die ländlichen Unterschichten lebten und wohnten, war in den ersten beiden Jahrhunderten nach dem Aufkommen des Heuerlingswesens keine Frage, die die herrschenden Schichten groß bewegte. Armut und primitive Lebensverhältnisse gab es schließlich überall, nicht nur im Schatten der sich in Nordwestdeutschland zumeist in Streusiedlungen befindlichen Bauernhöfe.

Erst nach dem Beginn der Industriellen Revolution in Deutschland, als die Soziale Frage aufkam, gerieten im Windschatten des Wohnungselends des städtischen Proletariats auch die Lebensverhältnisse der ländlichen Unterschichten gelegentlich in den Blick der Öffentlichkeit.

Als sich der „Local-Gewerbe-Verein“ des Amtes Grönenberg aus dem Osnabrücker Land 1840 mit einer Schrift über die Notlage der Heuerleute aus Hand der Vorstandsmitglieder C. Jacobi und A. Ledebur an die Öffentlichkeit wandte, beschäftigten sich die beiden Verfasser eingangs mit wenigen Worten mit der Behausung der Heuerleute. Ihre Schilderungen des Lebens in den Unterkünften der Heuerleute Anfang des 19. Jahrhunderts dürften auf andere nordwestdeutsche Regionen übertragbar sein.

Jakobi und Ledebur beklagten, dass die Heuerhäuser durchweg Rauchhäuser seien, also aus Kostengründen keinen Schornstein besäßen: An Schornsteinen fehlt es überall, weshalb denn alle Räume des Hauses nicht selten mit Rauch angefüllt und dieses selbst der Feuersgefahr ausgesetzt ist.

Zur weiteren Wohnsituation in den nicht selten als Doppelheuerhaus genutzten Kotten schrieben die beiden: Oft müssen sich dann zwei Familien in einem kleinen Häuschen behelfen und wenn nicht Eintracht und Nachgiebigkeit unter ihnen obwaltet, in täglichem Hader und Streite leben; wobei noch die mangelhafte Beschaffenheit der Wohnung leider eine sehr häufige und wohlbegründete Klage der Heuerleute ist …

Nicht selten liegen dagegen die Kotten so niedrig, daß das Wasser in Stube und Kammer eindringt und also der Fußboden immer feucht sein muß und mit ihm die Wände; oft fehlen in Stube und Kammer gehörige, sich öffnende Fenster, so daß es an hinreichend frischer Luft gebricht und die erwärmenden Sonnenstrahlen nicht eindringen können. Ist das Dach nicht dicht, so verderben die Früchte auf dem Boden, … sind Wände und Thüren nicht dicht, so leidet das Haus an fortwährender Zugluft und kann bei strenger Kälte nicht gehörig erwärmt werden.

Da die Heuerlingshäuser keine Keller besäßen, so berichteten die Autoren weiter, seien in ihnen alle möglichen Ecken mit Lebensmittelvorräten vollgestopft. Sie beanstandeten, dass die bäuerlichen Eigentümer wenig Interesse zeigten, ihren Heuerleuten solide Wohnhäuser zu schaffen: Man findet in den Heuerwohnungen … sehr viele, auf deren Erbauung weniger Sorgfalt und Fleiß verwendet wird, als auf die Errichtung eines Schoppens. Man sieht es vielen von außen an, daß der Colonus [Bauer] mit großer Eile und kleinlicher Sparsamkeit dabei verfuhr.

Dabei konnten sich – so die beiden Verfasser – die Bewohner derartiger Heuerlingshäuser noch glücklich schätzen, denn trotz des massiven Wohnungsmangels auf dem Land lebten sie in einem Gebäude, das ansonsten wie ein kleines Bauernhaus aufgeteilt und damit auf landwirtschaftliche Arbeit zugeschnitten war.

Es liegen eine Menge Familien in sogenannten Backhäusern, Speichern und Schoppen, oft so gedrängt, daß Alt und Jung, 6-8 an der Zahl in einem Durtig die Schlafstelle haben. Dieser ist dabei so kurz, daß ein mittelgroßer Mensch gekrümmt darin liegen muß; zudem sind die Stuben gewöhnlich so niedrig, daß nur kleine Personen aufrecht stehen, und so eng, daß außer Tisch und Ofen kaum ein Paar Stühle stehen können.

Die auch Alkoven oder Durk genannten Schrank- oder Wandbetten besaßen kein Außenfenster zur Lüftung. Sie verfügten vor der Einstiegsöffnung meist über Vorhänge, Schiebe- oder Klapptüren, um einen Rest an Wärme zu halten, denn im Kotten war es in der dunklen Jahreszeit durchweg bitter kalt. Es zog nämlich stark durch das Dach, die große Dielentür und alle möglichen Ritzen. Außerdem waren die Außenwände relativ dünn und der Fußboden bestand aus gestampftem Lehm, weshalb bei Frost von allen Seiten die Kälte ins einfach gebaute Haus eindrang.

Um die Innentemperatur im Haus wenigstens etwas zu steigern, lebten Mensch und Tier lange ohne Trennungsmauer in einem großen Raum. Die Schlafbutzen waren mit Stroh ausgelegt, der in der Regel selten gewechselt wurde, und dienten in den kinderreichen Heuerlingsfamilien in der Regel mehreren Kindern oder Jugendlichen gemeinsam als Schlafstätte.

Die drangvolle Enge auch im landwirtschaftlich genutzten Teil des kleinen Hauses – hier waren ja die Ernte- und Futtervorräte unterzubringen, die wie die Tiere ausdünsteten und Ratten und Mäuse anlockten – barg für die Heuerlingskotten eine weitere Gefahr, wie evangelische Pastor Georg Ludwig Wilhelm Funke aus Menslage im Osnabrücker Land betonte: Indes ist ein Heuerhaus um so feuergefährlicher, je kürzer es ist, weil alsdann Heu und Stroh näher an den Herd gebracht werden müssen. Es ist zu bewundern, daß bei diesen sehr kurzen Häusern nicht häufiger Brand entsteht, besonders wenn gleich nach der Ernte in solchen kleinen Häusern … Roggengarben nahe am Feuerherde aufgehäuft werden, weil der nötige Bodenraum fehlt. Daher war eine Einäscherung gerade der engen, überbelegten Heuerlingskotten durch Brandkatastrophen keineswegs selten.

Trotz vereinzelter Bemühungen änderte sich die Wohnsituation der Heuerlinge bis zum Ende des Kaiserreichs nicht grundlegend, wobei im Vordergrund der staatlichen Bekämpfung der Schlafbutzen vornehmlich sittlich-moralische Beweggründe standen.
Quellen
- Jacobi, C./Ledebur, A.: Ueber die Verhältnisse der Heuerleute im Osnabrückschen nebst Vorschlägen für deren Verbesserung. Bearbeitet mit Rücksicht auf die Verhandlungen des Local-Gewerbe-Vereins im Amte Grönenberg durch den Vorstand desselben, Melle/Osnabrück 1840, S. 7-9.
- Funke, Georg Ludwig Wilhelm: Ueber die gegenwärtige Lage der Heuerleute im Fürstenthume Osnabrück, mit besonderer Beziehung auf die Ursachen ihres Verfalls und mit Hinblick auf die Mittel zu ihrer Erhebung, Bielefeld 1847, S. 8-9.
- Schimek, Michael: Staatliche Alkovenbekämpfung im 19. und 20. Jahrhundert in Nordwestdeutschland, in: Thomas Spohn (Hrsg.): Bauen nach Vorschrift? Obrigkeitliche Einflussnahme auf das Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland (14. bis 20. Jh.) (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Bd. 102), Münster/New York/München/Berlin 2002, 287-304, S. 288-290.

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