Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Kindheit

Johanna Wüppen

Eine Kindheit auf dem Lande 1911

Die folgenden Texte sind einem Aufsatzheft entnommen, das die Schülerin Johanna Wüppen zwischen März und Dezember 1911 geführt hat. Johanna war Schülerin der Volksschule Wilsum. Die Aufsätze sind in gestochen gleichmäßiger Sütterlin-Schrift geschrieben.

Meine erste Eisenbahnfahrt
Als ich zum ersten Male mit der Eisenbahn fuhr, machten wir einen Ausflug nach Bentheim. Am Tage vorher schmückten wir die Wagen. Als nun der Morgen kam, konnte es losgehen. Um 9 Uhr fuhren wir mit dem Leiterwagen nach Neuenhaus. Unterwegs wurden schöne Lieder gesungen. Um 11 Uhr kamen wir in Neuenhaus an und stiegen in die Bahn. Hier rüttelte nichts wie im Leiterwagen. Wir kamen an der schönen Stadt Nordhorn vorbei. Wie die Lokomotive die Eisenbahn in Betrieb setzt, kann ich nicht begreifen und weiß nichts darüber zu schreiben. Endlich kamen wir in Bentheim an. Wir stiegen aus, danach gingen wir nach Gildehaus. So verlief uns der Tag viel zu schnell. Am Abend fuhren wir wieder mit der Bahn nach Neuenhaus und kamen endlich wieder zu Hause an.

Unser Wohnhaus
Unser Wohnhaus liegt in Wilsum im Kleihoek und zwar von NO nach SW. Es ist ein einstöckiges Gebäude und für den landwirtschaftlichen Betrieb eingerichtet. Auf dem Erdgeschoss befinden sich die Stuben und die Stallungen für das Vieh. In unserm Wohnhaus befindet sich eine Küche, eine Stube, 2 Schlafkammern, eine andere Kammer, eine Rumpelkammer und eine Waschkammer. Auf der Diele sind an der einen Seite die Kuhställe und an der anderen befinden sich Pferde- und Hühnerstall. Es liegt dort auch das Stroh aufbewahrt. Auf dem Dachgeschoss wird das Getreide aufgespeichert. Vor dem Wohnhause liegt der Garten. Um das Haus herum ist der Hofraum. An das Haus grenzen die Ländereien. Unsere Nachbarn sind Loeks, Oldehinkel, Kleiman, Bielefeld und Koers.
 
Wie ich den zweiten Pfingstnachmittag verlebte
Der zweite Pfingsttag war ein sonniger Tag. Nachmittags ging ich zu meinen Gespielinnen. Wir haben allerlei lustige Spiele getrieben. Ich musste schon früh wieder nach Hause, denn ich musste die Kühe von der Weide holen. Unterwegs kam ich an Roggen-, Kartoffel- und Weizenfeldern vorbei. Als ich auf der Weide ankam, grasten die Kühe noch schön. Langsam trieb ich sie nach Hause. Als ich wieder zu Hause anlangte, war ich müde und ging bald zu Bett.
Heuernte vor 100 Jahren - Bild: Bundesarchiv (CC BY-SA 3.0)
Unser letztes Fuder Heu
Vor etwa 3 Wochen waren wir schon mit dem Heuen angefangen. Es war aber regnerisches Wetter und das Heu musste lange auf der Wiese liegen, bevor es trocken war. Aber vor einigen Tagen begann das schöne Wetter zum Heuen. Da konnten viele Fuder nacheinander eingeholt werden. Bald wurde auch das letzte Fuder in die Scheune gebracht. Mein Bruder und ich fuhren zur Wiese, welche nahe bei Timmerhuis liegt. Als wir auf der Wiese ankamen, stiegen wir sogleich vom Wagen. Jetzt wurde der Wagen voll gepackt. Als nun alles Heu auf den Wagen gepackt war, war der Wagen noch nicht ganz voll. Wie freute ich mich, dass ich oben auf dem Fuder sitzen durfte! Nun ging es wieder nach Haus. Oben vom Fuder aus konnte ich allerlei sehen. Bald langten wir zu Hause an. Das Heu wurde in die Scheune gepackt, und so waren wir mit dem Heuen fertig.

Wie wir unseren Roggen dreschen
Wenn wir dreschen, sind fast alle damit beschäftigt. Zuerst werden 70 - 80 Garben vom Boden geworfen. Bei der Dreschmaschine steht eine Person, die die Garben gleichmäßig auf einen Haufen legt. Dann werden die Pferde vor den Göpel gespannt. Ein lauter Ruf ertönt und mein Vater veranlasst die Pferde zum Anziehen. Einer übergibt dem die Garben, der sie in die Dreschmaschine schüttet. Mit lautem Getöse kommt das Stroh zum Vorschein. Das Stroh wird zurück geschoben, damit das folgende Platz findet. Wenn der Roggen gedroschen ist, wird das Korn zusammen gefegt und danach gereinigt.
 
Wie meine Mutter Gurken einmacht
In diesem Jahr machen wir nur Essiggurken ein. Zuerst werden die daumdicken Früchte gehörig gereinigt und dann 12 Stunden in Salzwasser gelegt. Hiernach werden sie mit einem reinen Handtuch abgetrocknet. Dann nimmt meine Mutter ein Einmachglas, wäscht dieses mit Soda- oder Salzwasser gut aus. Ist das Einmachglas gut gereinigt, so können die Gurken in das Glas gelegt werden. Es werden auch Lorbeerblätter und Dill dazu verwendet. Wenn das Glas voll ist, wird Einmachessig darauf gegossen. Dann wird Pergament darüber gespannt. Oftmals sieht sie zu, wie sich die Gurken gehalten haben.
 
Unsere Sedanfeier
Am 2. September feierten wir die 41jährige Wiederkehr des glorreichen Sieges der deutschen Truppen bei Sedan. Morgens um zehn Uhr versammelten wir uns in der Schule, wo die meisten Kinder festlich erschienen. Zuerst wurden vaterländische Lieder gesungen. Danach hielt Herr Lehrer Leesmann einen Vortrag. Es wurde ein dreimaliges Hoch auf unsern Kaiser ausgebracht, und damit war die Feier in der Schule beendet. Nun ging es zum Haubarge, wo wir mit Herrn Lehrer Leesmann Hetzball spielten. Wer der Sieger war, bekam als Prämie ein Stück Schokolade. Um 12 Uhr traten wir den Heimweg an.
 
Das Kartoffelsammeln
Wenn ich des Mittags nach dem Essen mit meinen Schularbeiten fertig bin, muss ich auch Kartoffeln sammeln helfen. Durch den vielen Staub, der durch das Roden verursacht wird, ist das Sammeln in diesem Jahre nicht besonders schön. Doch durch allerlei Scherz und Witz vergeht der Nachmittag ganz schnell. Ehe ich daran denke, kommt mein Vater schon mit dem Wagen, um die vollen Säcke nach Hause zu fahren. Auch wir gingen bald nach Hause. Als ich mich ordentlich gewaschen hatte und mit dem Abendessen fertig war, begab ich mich zu Bett.
 
In der Elektrischen
Horch, es klingelt. Die Elektrische saust heran. Oben am Draht sprühen blaue Funken. Nun ist sie an der Haltestelle angelangt. Ein Ruck! und sie steht still. Flink steige ich ein. Das Paket stelle ich unter die Bank. Jetzt schellt der Schaffner, und der Wagen setzt sich direkt in Bewegung. Immer schneller sausen wir dahin. Die Häuser zur Rechten und Linken fliegen nur so vorbei. Plötzlich halten wir auf der Strecke, weil die Rückkehr des anderen Wagens an der Weiche abgewartet werden muss. Da kommt er schon heran, und weiter geht die Fahrt.

Quellen: Aufsatzheft im Archiv der Grundschule Wilsum
zurück
Share by: