Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Luftkrieg

Helmut Lensing

Der Luftkrieg über der Grafschaft Bentheim

Der Beginn des Luftkriegs
Der NS-Staat hatte sich im Rahmen seiner Aufrüstung auch intensiv mit dem Luftkrieg und seinen Auswirkungen beschäftigt. Schon seit Mitte der 1930er Jahre führten etwa die Grafschafter Schulen und Gemeinden immer wieder Luftschutz-Übungen durch. Verdunkelungs-, Evakuierungs- und Brandschutzmaßnahmen wurden geplant und geprobt. Ferner entstanden die ersten Luftschutzbunker.
Bombenkrater im Bourtanger Moor nach einem Fehl- oder Notabwurf - Bild: Schulchronik Schöninghsdorf
Als nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 die Briten und Franzosen umgehend dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, begann zugleich der Luftkrieg. Zunächst überflogen die britischen Flugzeuge jedoch nur das Reich, um Fotos von militärischen Anlagen und der Infrastruktur zu machen. Zudem warfen die Maschinen Flugblätter ab, um die deutsche Bevölkerung gegen das Hitler-Regime aufzuwiegeln. Über der Grafschaft ließen britische Flugzeuge, die stets über die neutralen Niederlande einflogen, zudem Brandplättchen herab regnen.
Vorder- und Rückseite eines britischen Flugblatts, das 1939 in der Grafschaft und im Emsland von britischen Flugzeugen abgeworfen wurde - Bilder: Schulchronik Teglingen
Die Schulchronik der evangelischen Schule Laar berichtete über den Luftkrieg in den ersten Kriegsmonaten: Vom Krieg ist sonst hier nicht viel zu merken. Zu unserer Sicherung gehen die Luftschutzstreifen durch unsere Gemeinde; denn es gibt immer noch leichtsinnige Menschen, die mit dem Licht nicht vorsichtig genug umgehen können. Verstärkt wird der Einflug des Feindes hier erst nach Beendigung des Krieges im Westen (Bombenabwurf in Coevorden und in Nordhorn).

In der Nacht vom 29.sten zum 30.sten September 1939 werden hier in Laar und Agterhorn die ersten Brandplättchen gefunden (Zelluloidstreifen 2 x 8 cm in allen möglichen Farben zwei Streifen mit gewöhnlicher Büroklammer aneinander geschlagen. Der erste Streifen trägt in der Mitte ein rundes Loch; darin Zellulose mit Phosphor getränkt). Diese Streifen sind natürlich sehr gefährlich, da sie schon bei 4 Grad und auch bei Feuchtigkeit zur Entzündung kommen. Der erste Fund wurde bei dem Ortsbauernführer Brookmann in Agterhorn gemacht. Das ganze Gebiet der Ortsgruppe wurde daraufhin intensiv nach diesen Plättchen abgesucht. Es wurden etwa vier gefunden. Schaden ist nicht entstanden.


Die Schulchronik von Wengsel ergänzte: Im ersten Kriegsjahre haben englische Flugzeuge in mancher Nacht unsere Gemeinde überflogen, Hetzblätter, Brandplättchen u. Leuchtraketen abgeworfen, jedoch nicht den kleinsten Schaden verursacht.

Und aus Alexisdorf, heute Neugnadenfeld, hieß es in der Chronik über das Kriegsjahr 1940: Der Krieg mit England wird auch bei uns unangenehm verspürt. Wegen der Einflüge der Engländer und der damit verbundenen Gefahr des Abwurfs von Brandbomben und Brandplättchen muß jetzt eine Fliegerwache eingerichtet werden. Während des Sommers betrug die Wachtzeit 11 – 3 Uhr. Sie ist jetzt auf 11 – 6 Uhr verlängert. Jede Luftschutzgemeinschaft muß im Besitz einer Luftschutzspritze sein. Die Luftschutzkräfte werden neu geschult. Der Standplatz der Wache ist die Schule. Bei Einflug der Flugzeuge muß sie diese beobachten, um bei Gefahr zu alarmieren.

Bei Abwurf von Bomben oder Brandplättchen ist das sofort dem Untergruppenführer und dem Bürgermeister zu melden. Um diese Wache ist schon viel Streit gewesen, da ein Teil der Bevölkerung dieses Wachen bei uns hier für sinnlos hält. Aber Befehl ist Befehl. Und übrigens sind in der Nähe schon Bomben gefallen, so in Neu-Ringe, Laar, Volzel usw. Brandplättchen sind hier auch schon gefallen und zwar bei dem Kulturbauamtsgebäude, bei Harms-Emsink und Fledderus. Morgens um 7 Uhr entzündeten sich die ersten. Darauf wurde eine Suchaktion für die ganze Weusten angeordnet.


Doch nicht immer war der Abwurf von Brandplättchen folgenlos, wie der Wilsumer Lehrer in seiner Chronik 1941 überliefert: Im Juli warfen einige Flugzeuge Brandplättchen. Infolge der wochenlangen Dürre brannten an einem Sonntagnachmittag mehrere Parzellen Humus (rechts und links der Straße nach Uelsen, Heuber, Vährte) ab, auch ein Stück Roggen auf dem Stamm bei Jan Egberink. Die Gemeinde richtete Fliegerwachen ein, die bei Bomben und Flugzeugabstürzen sofort den Bürgermeister zu benachrichtigen haben.

Die Schulkinder wurden immer wieder zum Einsatz befohlen, so dass sich häufiger Einträge in Schulchroniken wie dieser aus den Chronik von Bimolten vom 8. März 1942 finden: Nachts schneit es Flugblätter, die von den Schülern eingesammelt werden. Wirkungen zeigen die Flugblätter offenbar nicht.


Der Luftkrieg erfasst das Bentheimer Land

Schon bald wurde der Luftkrieg intensiver. Die Grafschaft Bentheim lag auf einer Haupteinflugschneise der Alliierten. Entlang dieser Flugroute entstanden viele kleine Flugplätze, auf denen deutsche Abfangjäger stationiert wurden. So kamen auch Abfangjäger auf den Flugplatz in Klausheide, der dadurch Ziel von Angriffen wurde. Wegen der hohen Verluste der Briten verlegten diese ihre Angriffe bald auf die Nacht.

Daher stationierte die Wehrmacht in vielen Grafschafter Gemeinden Scheinwerferstellungen, die die feindlichen Flugzeuge anstrahlten und sie damit zum Ziel für Abfangjäger und Flugabwehrgeschütze machten. In der Schulchronik Halle ist darüber im Schuljahr 1940/41 zu lesen: In unmittelbare Berührung mit dem Kriegsgeschehen kam unsere Heimat auch durch den Luftkrieg. Mit dem Feldzug im Westen wiederholten sich mit ziemlicher Regelmäßigkeit Einflüge englischer Bombenflugzeuge. Dabei nahm eine bestimmte Anzahl von Maschinen beim An- und Ausfliegen die Flugrichtung über unser Gebiet.

Zur Abwehr dieser Angriffe wurden hier Scheinwerfer aufgestellt, die mit Nachtjägern zusammenarbeiten. Ihnen gelang es schon zu wiederholten Malen, feindliche Flugzeuge abzuschießen. So beobachten in der Nacht vom 5. zum 6. November verschieden Einwohner aus Halle ein brennendes Flugzeug, das in Holland abstürzte. Wie sich am anderen Tage herausstellte, war es eine englische Maschine, die 4 Mann starke Besatzung war verbrannt. In der Nacht vom 12. zum 13. März um 12.15 Uhr konnte der Unterzeichnete beobachten, wie ein Nachtjäger ein Bombenflugzeug mit Leuchtspurmunition beschoß. Die feindliche Maschine stürzte brennend ab. Nach dem Aufschlag war eine starke Detonation zu hören.

Folglich berichten viele Schulchroniken über nächtliche Kämpfe am Grafschafter Himmel. Doch dies barg auch Gefahren für die Bevölkerung. Da im Bentheimer Land für die Alliierten wenig kriegswichtige Einrichtungen lagen, wurde der Landkreis von direkten Angriffen zwar lange verschont. Gefährlich waren aber über den Niederlanden angeschossene Bomber, die ihre tödliche Last noch auf deutschem Gebiet, also in der Grafschaft, abwerfen wollten.

Zudem blieben den Briten die deutschen Anstrengungen zur Luftabwehr sowie die Stationierung von Flugzeugen in Klausheide nicht verborgen und riefen entsprechende Gegenmaßnahmen hervor. Die Schulchronik der Niedergrafschafter Bauerschaft Halle hielt dazu im Schuljahr 1941/42 fest: Ein Kriegserlebnis, das wohl allen Einwohnern unserer Gemeinde unvergeßlich sein wird, brachte die Nacht vom 9. zum 10. Juli 1941. Die Briten flogen ein. Unsere Abwehr, Scheinwerferbatterien und Nachtjäger, entwickelten eine eifrige Tätigkeit. Ein imposantes Bild, wenn plötzlich hier und dort mächtige Strahlenbündel auftauchen und wie lange Finger den nächtlichen Himmel abtasten!

Wehe dem Flugzeug, das von ihnen erfaßt wird! Sein Schicksal ist besiegelt. Die bei unserem Dorfe liegende Scheinwerferabteilung war schon verschiedentlich von feindlichen Flugzeugen mit Bordwaffen und Splitterbomben angegriffen worden, jedoch ohne Erfolg. In der fraglichen Nacht nun hatte ein englischer Bomber sich offenbar vorgenommen, wiederum unsere Scheinwerfer anzugreifen. Der Unterzeichnete beobachtete zusammen mit dem Nachbarn Lamann den aufgeregten Himmel; es war ein paar Stunden nach Mitternacht.

Plötzlich ein eigenartiges Pfeifen, das schnell näher kam und lauter wurde. Schnell suchten wir Deckung in einem kleinen Graben. Im gleichen Augenblick hörten wir ein furchtbares Krachen. Als wir uns aufrichteten, sahen wir in Richtung des Stönnebrinkschen Hofes eine Leuchtbombe niedergehen. Zwischen Baasdam und Kolde waren 6 Bomben eingeschlagen; die letzte explodierte nicht. Der erste Einschlag lag unmittelbar (15 m) neben dem Baasdamschen Hause. Während Wohnhaus und Scheune beschädigt wurden, kamen die Insassen mit dem Schrecken davon. Da die letzte Bombe in der Nähe des Koldeschen Hauses nicht explodiert war, wurde Familie Kolde ausquartiert. … Der Scheinwerfer, dem der Angriff ohne Frage gegolten hatte, lag weit ab von den Einschlagstellen und blieb gänzlich unversehrt.


Die Fliegergefahr prägt den Alltag

Nachdem die Amerikaner mit ihrer großen Materialüberlegenheit in den Krieg eingetreten waren gewannen die Alliierten eine drückende Luftüberlegenheit. Die Amerikaner griffen nun tagsüber an, wobei ihre Bombengeschwader von schnellen Jagdflugzeugen beschützt wurden. Die Briten kamen dann nachts. So notierte der Bimolter Lehrer am 13. Juni 1943 seiner Chronik: Der nächtliche Flugbetrieb nimmt weiter zu. In der vergangenen Nacht beobachtete ich 16 brennend abstürzende Flugzeuge. Die Scheinwerfer arbeiten seit einiger Zeit nicht mehr. Die Kämpfe finden im Dunkeln statt. Man sieht nur die Feuergarben und die brennend abstürzenden Flugzeuge. Bis heute sah ich in diesem Jahr 46 Flugzeuge nachts abstürzen.

Berichteten die Schulchroniken zunächst vor allem über die Abstürze alliierter Flugzeuge, so häuften sich bald die Notizen über Abschüsse deutscher Maschinen. Der Bimolter Lehrer berichtete etwa, wie er am 9. Oktober 1943 den Abschluss eines bekannten deutschen Fliegers beobachtete, der dabei den Tod fand. 1944 kam das Alltagsleben am Tag immer mehr zum Erliegen, da der Himmel häufig stundenlang voll von angreifenden oder zurückkehrenden alliierten Bombengeschwadern war. Mangels deutscher Gegenwehr griffen die begleitenden Jäger nun auch Bauern bei der Arbeit oder Kinder auf dem Schulweg an.

Als diese Masseneinflüge noch neu waren, hielt der Bimolter Lehrer erschüttert Ende Februar 1944 in seiner Chronik fest: Heute sahen wir den ersten Masseneinflug von feindl. Flugzeugen. Wir zählen 570, die nördl. von uns in westöstlicher Richtung an uns vorüberziehen. Auch durch den Süden ziehen viele Flugzeuge, die wir der Sonne wegen nicht sehen können. Am 24. zählen wir mehr als 300 Flugzeuge. Fast jeden Tag verlassen die Schüler vorzeitig die Schule, da die Alarmsirenen von Nordhorn her Alarm melden.

Jetzt gab es auch zivile Opfer bei Angriffen etwa auf Nordhorn oder die Wietmarscher Kirche. Überall wurden Splitterschutzgräben entlang der Straßen oder primitive Erdbunker in der Nähe der Bauernhäuser errichtet. Doch nicht immer wollte man sie nutzen, wie der Schulchronik Scheerhorn-Berge zu entnehmen ist: Es fehlte hier noch an einem vorschriftsmäßigen Luftschutzgraben. Zwei Tage kamen die Bauern aus beiden Gemeinden und arbeiteten an einem Graben.

Nachdem er fertig war, kam der Bürgermeister von Berge und stellte nüchtern fest: „Wenn se met de Kinner dorin goat, is dat Massengrab kloar“. Und damit war für sie die Luftschutz-Angelegenheit in Ordnung. Die Folge aber war, wenn wirklich Gefahr da war, wollte niemand in diesen Graben hinein und die Aufregung war groß. Alles flüchtete sich an die Innenwände der Schule. Immer, wenn es dann etwas ruhiger wurde, verschwanden die Kinder nach allen Richtungen.


1944 steigerten sich die Angriffe immer mehr, bis in den letzten Kriegsmonaten kein auch nur halbwegs normales Leben mehr möglich war. Darüber berichtete die Lager Schulchronik: Zu vielen Hunderten flogen die Flugzeuge über Lage wie zu einer Parade, nicht ein einziges deutsches stellte sich ihnen entgegen. Er wäre ein wunderbares Schaustück gewesen, wenn man nicht gleichzeitig an die zahllosen Menschen und Städte denken mußte, die durch diese Flugzeuge bombardiert wurden und Not und Tod erleiden mußten.

Auch in Nordhorn und in den kleinen Orten wie Neuenhaus, Uelsen, Veldhausen und Emlichheim wurde bei Herannahen der Geschwader mit der Sirene Fliegeralarm gegeben. Schon bei Voralarm wurden die Schüler nach Hause bzw. in Nordhorn in die Bunker geschickt. Erst nach der „Entwarnung“ kamen sie wieder, wenn dann nicht schon die Unterrichtszeit um war. … Die Zahl der Flieger und Einflüge nahm immer mehr zu. Besonders gefürchtet waren die Tiefflieger, die die Züge und Autos angriffen. Häufig konnten wir beobachten, wie sie in Neuenhaus und Grasdorf herunter stießen und Züge angriffen. Zugpersonal und Fahrgäste wurden dabei getötet oder verwundet. In den letzten Monaten des Krieges fuhren die Züge nur noch nachts.

Am 24. März 1945 machte ein alliierter Großangriff den Flughafen Klausheide unbrauchbar. Doch erst mit der Besetzung der Grafschaft durch britische Verbände Anfang April 1945 endete der Schrecken des Luftkriegs im Landkreis.

Literatur:
- Eickhoff, Joachim/IKARUS/Vermisstensuchgruppe Grafschaft Bentheim, Der Flugplatz Klausheide von 1933 – 1945, in: Werner Rohr (Schriftleitung), Nordhorn im 3. Reich. Hrsg. von der VHS Landkreis Grafschaft Bentheim/Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Geschichtswerkstatt an der Volkshochschule der Stadt Nordhorn für den Landkreis Grafschaft Bentheim, Band 8; Schriftenreihe der Volkshochschule der Stadt Nordhorn, Bd. 14), Haselünne 2016 (3. überarbeitete und deutlich erweiterte Auflage), S. 272-277.
- Eickhoff, Joachim/IKARUS/Vermisstensuchgruppe Grafschaft Bentheim, Luftkrieg, in: Werner Rohr (Schriftleitung), Nordhorn im 3. Reich. Hrsg. von der VHS Landkreis Grafschaft Bentheim/Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Geschichtswerkstatt an der Volkshochschule der Stadt Nordhorn für den Landkreis Grafschaft Bentheim, Band 8; Schriftenreihe der Volkshochschule der Stadt Nordhorn, Bd. 14), Haselünne 2016 (3. überarbeitete und deutlich erweiterte Auflage), S. 278-279.
- Gemähling, Heidrun, Erinnerungen eines Luftwaffenhelfers an 1944 in Nordhorn: "... ein Feldweg führte in eine Heidelandschaft mit Erikapflanzen ...", in: Der Grafschafter Nr. 5/2012, Nordhorn 2012, S. 17-18.
- Vermißtensuchgruppe Ikarus (Reinhard Bojer/Joachim Eickhoff), Vom Luftkrieg über Wilsum. Flugzeugabstürze im Zweiten Weltkrieg, in: Hubert Titz (Schriftleitung), Wilsum – Die Geschichte eines Dorfes 851 – 2012. Aus dem Dunkel der Vergangenheit bis heute. Hrsg. vom Heimatverein Wilsum/Volkshochschule Grafschaft Bentheim (Schriftenreihe der Volkshochschule des Landkreises Grafschaft Bentheim und der Museumskoordination Grafschaft Bentheim, Bd. 31), Bad Bentheim 2012, S. 340-343.
- Wege, Ernst/Eickhoff, Joachim/Vrielink, Willi, 1939-1945. Luftkrieg in der Grafschaft Bentheim – Geschichte und ihre Geschichten. Sammlung von Zeitzeugen-Berichten, aus Büchern, aus dem Internet sowie Berichte und Zusammenstellungen der Verfasser, Nordhorn 2013.

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