Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Mitläufer

Alois Brei

Warum gab es so viele Sympathisanten der NSDAP?

Nach 1945 dauerte es lange, bis man sich in der Grafschaft Bentheim mit Scham und Nachdenklichkeit an die Zeit des Nationalsozialismus erinnerte. Über dieser Zeit lag noch viele Jahre, ja Jahrzehnte lang ein Mantel aus Verschweigen, Verharmlosung und Verdrängung, auch als das wahre Ausmaß der Verbrechen und seiner politischen Grundlagen längst bekannt waren. Die meisten hatten Hitler und den Naziführern zugejubelt, viele hatten falsche Erwartungen gepflegt, nicht wenige willig mitgemacht und sich benutzen lassen.
Nürnberg, Abteilungen der SA marschieren an Hitler vorbei. - Bild: gemeinfrei
Aus heutiger Sicht lassen sich als Ursachen für das Verhalten der Mehrheit zu Beginn der NS-Zeit diese Faktoren nennen:

Die Grafschaft war überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Von besonderer Bedeutung war daher die Wirtschaftskrise, die vor allem auch die Landwirtschaft betraf. Viele Höfe waren überschuldet. Schon 1928 hatten Landwirte mit Demonstrationen auf ihre Not aufmerksam gemacht. Viele Landwirte wandten sich von ihren berufsständischen Organisationen ab und den Versprechungen der NS-Propaganda zu.

Die NS-Propaganda setzte gezielt nationalsozialistisch gesinnte evangelische Pfarrer oder Theologiestudenten als Werberedner ein, die unermüdlich auf die angebliche Verankerung des Christentums in der NSDAP hinwiesen. Einige Grafschafter Pastoren bekannten sich offen zur Hitler-Partei, so der Kreisleiter der "Deutschen Christen", Pastor Wiarda aus Brandlecht. Die meisten von ihnen - darunter Wiarda - distanzierten sich allerdings wieder, als Ende 1933 das Alte Testament durch die "Deutschen Christen" als jüdisches Machwerk diffamiert wurde. Einer der aktivsten NS-Redner im nordwestdeutschen Raum war der ehemalige lutherische Pfarrer von Borkum, Ludwig Münchmeyer.

Die NSDAP arbeitete mit ausgefeilten Propagandamethoden. So boten die von ihr veranstalteten "Deutschen Abende" mit nationalistischer Marschmusik, Theaterstücken, NS-Sprechchören, dem Abspielen von Reden führender Parteileute usw. einen hohen Unterhaltungswert, über den die Inhalte der Nazi-Ideologie erfolgreich in das Denken der Bevölkerung einsickerte.

Es herrschte in der Niedergrafschaft schon vor der "Machtergreifung" ein sehr NS-freundliches Presseklima. Der Kreispressewart der NSDAP, ein Kaufmann aus Emlichheim, war als Korrespondent für die Neuenhauser "Zeitung und Anzeigenblatt" aus dem Verlag Kip tätig. Er berichtete in vielen Beiträgen über Programm und Auftreten der neuen Bewegung ohne jede Zurückhaltung. Zudem besaß die NSDAP seit April 1932 ein eigenes Lokalblatt, den "Grafschafter Beobachter" aus dem Osnabrücker Verlag Kisling.

Auf junge Männer wirkte die neue Bewegung attraktiv, konnten sie doch als SA-Mitglieder an Aufmärschen und Veranstaltungen in Oldenburg, Münster, Osnabrück und anderen Orten der näheren Umgebung teilnehmen. Sie hatten so Zugang zu Erlebnissen, die sich deutlich von einem oft eher eintönigen Leben auf den Höfen und in den Fabriken der Grafschaft abhoben. Die mit der SA verbundenen Aktivitäten mitten in der Weltwirtschaftskrise, in der große Geldknappheit und Armut herrschten, entfalteten eine große Attraktivität.

Parteien, die sich in offener Gegnerschaft zum Nationalsozialismus befanden, waren in der Niedergrafschaft unterrepräsentiert. SPD und KPD waren kaum vertreten, das Zentrum war dominierend in den überwiegend katholischen Gemeinden Wietmarschen, Engden und Drievorden. Auch in Adorf gab es eine starke Anhängerschaft des Zentrum. In Nordhorn, Bentheim, Neuenhaus oder auch Emlichheim waren die Wähler dieser Partei zwar eine relativ große, stabile Gruppierung, die jedoch deutlich in der Minderheit blieb, in Neuenhaus zum Beispiel erreichte das Zentrum bei allen Wahlen in der Zeit der Weimarer Republik zwischen 18,8 und 20,9 % der Stimmen. Das entsprach etwa dem Anteil der Katholiken an der Bevölkerung. Glieder der reformierten und altreformierten Kirchen dürften hingegen kaum das katholische Zentrum gewählt haben.

Der "Christlich Soziale Volksdienst" (CSVD), der im Landkreis bei den Wahlen im September 1930 noch knapp stärker als die NSDAP abschnitt, vermochte im protestantischen Milieu der Grafschaft den Aufstieg der NSDAP zwar zunächst zu bremsen. Er wurde im Kirchspiel Uelsen allerdings im Gegensatz zu anderen Gemeinden nicht durch Personen unterstützt, die in der reformierten Gemeinde aktiv waren. Seine Anhänger in der Niedergrafschaft fanden sich eher in altrefomierten Kreisen. Im November 1932 entfielen auf den CSVD im Landkreis nur noch 8,7% der Stimmen (1930: 24,2 %).

Bei den Reichstagswahlen 1930 erreichte die NSDAP in Uelsen bereits 55 % der Stimmen, die sie bei den Novemberwahlen 1932 auf 60 %, und bei den Märzwahlen 1933 sogar auf 70,3 % steigern konnte. Es liegt nahe, diese Wählerschaft vor allem im reformierten Milieu zu verorten.

Vor 1933 wurde die NSDAP nur von wenigen Angehörigen der örtlichen Honoratioren aktiv unterstützt. Zu ihnen gehörten neben dem Gildehauser Arzt Dr. Ständer die Neuenhauser Kaufleute Dietrich Schomaker, Leonhard Schlüter und Ferdinand Harger, die maßgelblich an der Gründung der Neuenhauser Ortsgruppe beteiligt waren. In Uelsen war Hauptlehrer Jan-Albert Blekker (*1884) im Jahr 1930 für kurze Zeit Ortsgruppenführer der NSDAP. Er starb 1942 im KZ Sachsenhausen, nachdem er sich mit der Partei überworfen und u. a. den Überfall auf die Niederlande und einige Parteiführer kritisiert hatte. Allerdings meinten auch in der Grafschaft führende Köpfe der bürgerlich-konservativen Kreise, sie könnten die NSDAP als Bollwerk gegen Kommunisten und Sozialdemokraten nutzen.

Nicht zuletzt: Je erfolgreicher die NSDAP abschnitt, je selbstbewusster sie auftrat, um so größer wurde der allgemeine Konformitätsdruck, vor allem in den kleinen Dörfern, in denen man schnell auffiel, wenn man nicht mit den Wölfen heulte.

Quelle: Helmut Lensing, Der Aufstieg des Nationalsozialismus in der Grafschaft mit besonderem Blick auf das Kirchspiel Uelsen 1923 - 1933, in: Bentheimer Jahrbuch 2007, S. 251 ff und Bentheimer Jahrbuch 2008, S. 331 ff
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