Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Schule in der NS-Zeit

Helmut Lensing

Die Schule in den Anfangsjahren der NS-Diktatur

Getreu nach dem Motto „Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft“ geriet die Schule gleich nach Beginn der NS-Herrschaft ins Visier der NSDAP. Zur Gewinnung der Erzieher schuf die Partei bereits 1929 den Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), dem sich schon vor 1933 viele Grafschafter Lehrer anschlossen. Doch die große Zeit dieses NS-Verbandes kam erst mit dem Beginn der Kanzlerschaft Hitlers. Im Zuge der Gleichschaltung wurden 1933 die bisherigen gewerkschaftlichen Lehrerorganisationen und der Katholische Lehrerverband gleichgeschaltet oder zwangsweise aufgelöst. Der Druck auf die Lehrer, Mitglied des NSLB zu werden, wuchs stetig. Besonders der seit 1935 amtierende NS-Schulrat August Schweer legte darauf größten Wert.

Die Klasse I der Altendorfer Schule Ostern 1938, die einen Großteil ihres Schullebens Unterricht in NS-Sinne erhalten hatte. In der Mitte Lehrer Heinrich Specht - Foto: Schulchronik Altendorf Bd. 5

Der Lehrer der katholischen Volksschule Hoogstede notierte zu dieser Entwicklung im Schuljahr 1933/34 nur lapidar: „Die bestehenden Lehrervereine wurden aufgelöst. Die Schulen in Hoogstede gehören dem N.S.L.B. Ortsgruppe Emlichheim an.“ Doch die Mitgliedschaft im NSLB zog nicht automatisch eine Mitgliedschaft in der Partei nach sich. So waren 1936 zwar 97 Prozent aller Lehrer im NSLB erfasst, aber nur 32 Prozent gehörten zugleich der NSDAP an. 

Im Gau Weser-Ems war von 1935 bis 1942 mit einer kurzen Unterbrechung Alfred Kemnitz NSLB-Gauamtsleiter, was für die Grafschaft von Bedeutung war, denn Kemnitz fungierte zeitweilig als kommissarischer Grafschafter NSDAP-Kreisleiter, wenn Kreisleiter Dr. Joseph Ständer eingezogen war. Kreiswalter, also Kreisvorsitzender der NSLB im Bentheimer Land, war der NS-Aktivist Paul Teepe von der evangelischen Volksschule Bentheim, der zum 1. April 1940 als Rektor an die ehemals katholische Burgschule in Nordhorn wechselte. Er stand den (1936) vier NSLB-Ortsgruppen in Bentheim, Nordhorn, Neuenhaus und Emlichheim vor. 

Die hohe Zahl schon früh in der NSDAP aktiven Lehrer führte dazu, dass etliche Grafschafter Schulchroniken aus der NS-Zeit bei Kriegsende komplett vernichtet wurden, andere Lehrer die Jahre des „Tausendjährigen Reiches“ sorgfältig entfernten, einige Seiten herausrissen oder belastende Passagen einfach unkenntlich machten.

Der neue Staat griff mit Verordnungen umgehend in das äußere Schulleben ein. Es gab bald einen völlig neuen Kanon an Festen und Feiertagen. Alle Grafschafter Volksschulen waren Konfessionsschulen. Die Feiertage richteten sich daher bislang nach dem christlichen Jahreslauf. Neue Schulfeste und Feiern nahmen im Nationalsozialismus nun einen deutlich höheren Stellenwert ein. Ihre Zahl wuchs enorm. 

Zunächst hatten Lehrer- wie Schülerschaft geschlossen an öffentlichen Umzügen teilzunehmen, etwa zum 1. Mai. Ebenso gab es neue politische und völkische Gedenk- und Feiertage, beispielsweise der Tag der Machtergreifung, der Staatsjugendtag, Hitlers Geburtstag, der Muttertag, die Sonnenwenden, der Erntedank, das Gedenken des Hitlerputsches vom 9. November 1923 oder der Heldengedenktag. Schulfeiertage wurden je nach politischem Kalkül ins Leben gerufen, das heißt verordnet, und auch wieder abgeschafft. 

So resümierte der Lehrer von Frensdorfer Haar zum Jahresende 1933 in seiner Chronik: „Wir haben häufig bei besonderen Anlässen (1. Mai – Tag der Arbeit), 1. Oktober – Tag des Landes, 12. November – 95 % aller Deutschen wählen die NSDAP) geflaggt, Radio gehört, Schulfeiern veranstaltet u. uns an Umzügen beteiligt. Es macht sich überall in den neuen Bestimmungen und Richtlinien, die bisher erschienen sind, der Geist des neuen Deutschlands stark bemerkbar.“ 

Besonders groß wurde die Sommersonnenwende als „Tag der Jugend“ mit Sportwettkämpfen und abendlichen Zeremonien begangen. So ist in der Chronik der evangelischen Volksschule Neuenhaus zu lesen: „Der Reichsjugendtag am 22.6.1935 – an Stelle der früheren Reichsjugendwettkämpfe – sah die Schüler aus Neuenhaus, Lage, Hilten und Grasdorf auf dem grünen Plan bei Steinweg. HJ. u. Schule waren gleichermaßen daran beteiligt, den Tag zu einem Erlebnis zu gestalten. Nach Kampf und Spiel vereinigte das Sonnenwendfeuer die gesamte Jugend am Abend auf der Wagenhorst. Die Verteilung der Siegernadeln nahm der neue Landrat Rosenhagen selber vor, nachdem er in ernsten und treffenden Worten die Kinder auf die Bedeutung des Tages hingewiesen sowie auf die Pflicht, sich dienend dem deutschen Volke einzufügen.“

Doch nicht überall weckte dies Begeisterung bei den Eltern. Der Lehrer der reformierten Volksschule in Laar schrieb zum Schuljahr 1935/36: „Am 22. Juni fanden die Sport-Wettkämpfe der Schulen im ganzen Reiche statt (Deutsches Jugendfest 1935). Bei sehr günstigem Wetter maßen sich die Kinder der Schulen Echteler, Vorwald, Laar kath. und Laar evang. auf der schön gelegenen Wiese des Wirtes Ossege, Laar, im Weitsprung, Lauf und Ballweitwurf. Von 47 teilnehmenden Kindern unserer Schule konnten 29 die Siegernadel erhalten (über 180 Punkte). Abends fand für die Gemeinden Emlichheim, Volzel, Echteler, Heesterkante, Laar, Agterhorn, Eschebrügge und Vorwald im R.A.D.-Lager Vorwald die Sonnenwendfeier statt. Die Bevölkerung nahm an dieser hier neuen Feier nur geringen Anteil (heidnisch!)“.

Zur Gestaltung dieser Feiern notierte der Lehrer der Schulchronik Scheerhorn-Berge 1934: „Es wurde versucht, durch Lied, Ansprache, Radio und eigene Mitarbeit der Kinder, die Kinder mit dem Grundgedanken des betr. Tages vertraut zu machen. Insbesondere wurde nationalistisches Gedankengut, soweit es für die Jugend verständlich ist, an die Schüler herangetragen.“

Schon 1933 wurde der Hitlergruß als schulischer Dienstgruß obligatorisch. Darüber ist im Protokollbuch der Altendorfer Schule aus der Konferenz vom 12. September 1933 zu lesen: „Der Hitlergruß ist als Dienstgruß eingeführt, und es wird von den Beamten erwartet, daß sie auch außerhalb des Dienstes in gleicher Weise grüßen. Beim Singen des Deutschlandliedes und des Horst-Wessel-Liedes ist bei der ersten und letzten Strophe die Hand zu heben.“ 

Etwas länger dauerte es, auch den Inhalt des Unterrichts zu ändern, also neue Schulbücher und Lehrpläne mit nationalsozialistischer Ideologie zu erstellen. Dies machte sich nicht nur in betont ideologischen Fächern wie Geschichte, Deutsch oder Biologie – wo nun etwa Rassenkunde unterrichtet wurde – bemerkbar, sondern selbst im Mathematik-Unterricht. Hier sollten die Schüler jetzt die Flugbahnen von Geschossen berechnen oder „herausfinden“, wie viele neue Schulen man bauen könne, wenn das Geld frei zur Verfügung stände, was die vielen „Krüppel“ den Staat kosteten.

Besondere Förderung erhielt der mit zusätzlichen Stunden aufgewertete Sportunterricht, wozu der Chronist der evangelischen Volksschule Neuenhaus überdies festhielt: „Für den Turnunterricht kommen im Herbst 1937 neue Richtlinien heraus. Schulungskurse für die Turnlehrer fanden in Nordhorn statt. Die Beurteilung der körperlichen Leistungen des Schülers, einschließlich Leichtathletik u. Schwimmen, ist nach den neuen Richtlinien bedeutend vielseitiger als bisher. Wille, Haltung, Charakter werden in Zukunft die Richtungspole auch dieses Unterrichts sein.“

Der NSLB gab für Schüler die Zeitschrift „Hilf mit!“ heraus. Die hier publizierten Texte verbreiteten rassistische, judenfeindliche und völkische Einstellungen. Das Heft erreichte nahezu jeden Schüler ab zehn Jahren und wurde auf Wunsch der Schulbehörden vielfach im Unterricht eingesetzt. Der Lehrer der katholischen Volksschule in Hoogstede notierte dazu kurz im Schuljahr 1933/34: „Um den Schülern regelmäßig durch Wort und Bild die großen Richtlinien in der nationalsozialistischen Weltanschauung näher zu bringen, wird die Schülerzeitschrift: „Hilf mit!“ in den Schulen eingeführt.“

Schon bald wurden bisherige Mitwirkungsorgane in der Schule abgeschafft. Anstelle des gewählten Elternbeirats wurden jetzt Jugendwalter ernannt, wobei die Kirche außen vor blieb, dafür aber die Hitlerjugend als neue Erziehungsinstanz neben Schule und Eltern trat und an jeder Schule mit einem Jugendwalter vertreten war. Gerade auf dem Land nutzte die HJ ausgiebig das Schulgebäude für ihre Zwecke. 

Gelegentlich riefen Lehrer auch Versammlungen der Schulgemeinde ein, um Neuerungen im Schulunterricht zu verkünden und zu erklären. Manchmal mussten sie sich aber mit Eltern auseinandersetzen, die für den Unterricht im NS-Sinn wenig Verständnis zeigten, wie der Lehrer von Vorwald unter dem Schuljahr 1935/36 empört in der Schulchronik zu Fragen der Eltern festhielt: „Das nächste galt der Zeitschrift: „Hilf mit.“ Die Väter Gebrüder Ahrends – Eschebrügge (alt-reform.) hielten diese Zeitschrift für die Kinder nicht geeignet, da manches in ihnen stände, das die Kinder nicht lesen dürften. … Seine Kinder lesen „Hilf mit“ nicht, da sie noch zu jung sind. – Maler Wesselink (alt.ref.) pflichtet den beiden Ahrends bei. – Der Lehrer weist den Vorwurf zurück und verlangt gläubiges Vertrauen zu unserm Führer u. seinen ersten Helfern. Sie schaffen u. arbeiten für uns und unsere Kinder.“

Die zwei wichtigsten neuen Unterrichtsmedien in der NS-Zeit waren der Rundfunk und der Einsatz von Filmen. Darüber hinaus wurden vermehrt neue Bücher, speziell mit völkisch-nationalistischem Inhalt, und Zeitschriften wie die schon genannte „Hilf mit!“ für die Schulbücherei angeschafft. Dem NS-Weltbild nicht entsprechende Titel mussten hier aussortiert werden. Finanziell vom Staat kräftig gefördert, hielten ab 1933 die „Volksempfänger“ Einzug in den Unterricht. Traf man sich zunächst noch außerhalb der Schule an öffentlichen Stellen zum gemeinsamen Rundfunkhören zwecks „politischer Bildung“, war dies bald schon im Schulgebäude selbst möglich. 

Der Lehrer von Bimolten notierte 1933 in seiner Schulchronik: „Der Tag von Potsdam, der 21. März 1933, an dem der neue Reichstag erstmalig zusammentrat, wurde durch den feierlichen Staatsakt zu einer nationalen Kundgebung, wie wir sie in Deutschland seit vielen, vielen Jahren nicht mehr erlebt haben, dadurch daß der deutsche Rundfunk in einem nach einheitlichen Gesichtspunkten zusammengestellten, der Würde des Tages Rechnung tragenden Programm die Feierlichkeiten übertrug, war es vielen Millionen Deutscher, die nicht mit den Hunderttausenden in Potsdam selbst Augenzeugen des großen Geschehens waren, möglich, diesen Tag auch in der Ferne mitzuerleben. Zur Feier des Tages fiel der Unterricht aus. Um 11 Uhr versammelten sich die Schüler zu einer Feier, in der der Schulleiter auf die Bedeutung dieses Tages des erwachenden Deutschlands hinwies. Anschließend gegen 12 Uhr fand die Übertragung des eigentlichen Staatsaktes in Potsdam durch den Rundfunk statt.“ Die Anlässe zum gemeinsamen Rundfunkhören stiegen im Laufe der Jahre.

Darüber hinaus wanderten die Klassen immer wieder geschlossen in die Kinos, um dort staatlicherseits propagierte Filme anzusehen. In der Schulchronik von Bimolten ist im Januar 1935 über „diese sehr begrüßenswerte Neuerung im Erziehungswesen“ zu lesen: „Jedes Kind, welches 10 Jahre und älter ist, ist verpflichtet, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Eintrittspreis beträgt 0,15 RM. Sind mehrere Kinder aus einer Familie anwesend, so tritt eine Verbilligung ein. Die erste Veranstaltung brachte uns den Film „Wilhelm Tell“, der von den Kindern begeistert aufgenommen wurde.“

In Scheerhorn-Berge hielt der Lehrer dazu 1934 fest: „Die Kinder sahen im Laufe des Jahres folgende Filme: 1. Blut und Boden, 2. Von Heiligtum zu Heiligtum, 3. Flüchtlinge ungeeignet). Erstmalig wurde ein Lernmittelbeitrag (pro Jahr 80 Pf.) erhoben, der von den Eltern nur ungern geleistet wurde.“

Später bekamen die Schulen auch Filmvorführgeräte. In der Schulchronik von Gölenkamp ist darüber im Schuljahr 1935/36 überliefert: „Durch einen Erlaß des Reichsministers für das Unterrichtswesen vom 26. 6. 34 wurde die Reichsstelle für den Unterrichtsfilm geschaffen. Der Film soll als gleichberechtigtes Lernmittel überall an die Stelle des Buches treten, wo das bewegte Bild eindringlicher als alles andere zu den Kindern spricht. Es ist beabsichtigt, daß alle Schulen mit Film-Vorführungsgeräten ausgerüstet werden. Die Kosten zur Beschaffung werden als Lernmittelbeiträge vierteljährlich von den Eltern bezahlt. Die Belieferung der Schulen mit Filmgeräten und Filmen setzte bald ein, so daß schon im Herbst 1935 in der hiesigen Schule der erste Unterrichtsfilm lief.“ 

So tarnten die Nationalsozialisten ihren Zugriff auf die schulischen Inhalte als eine überfällige Modernisierung der Schule, die sie für die aktuellen Techniken öffneten – wie sie behaupteten. Ein großer Einschnitt in die Schullandschaft stellte das Ende der Konfessionsschule dar, was ein wesentlich tieferes Eindringen der NS-Ideologie in den Unterricht ermöglichte. 

Bestellpostkarte für die NSLB-Schülerzeitschrift „Hilf mit!“

Schüler der Altendorfer Schule beim „Fest der Jugend“ 1933 in Frenswegen. Foto: Schulchronik Altendorf Bd. 5

Der Volksempfänger, hier ein Modell von 1933, sorgte dafür, dass auch in der Schule Hitler-Reden und NS-Propagandasendungen mitverfolgt werden konnten. Abbildung: Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0     

Überklebte und geschwärzte Stelle aus der Schulchronik Wengsel 

zurück
Share by: