Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Staehle

Alois Brei

Wilhelm Staehle

Wilhelm Staehle wurde am 20. November 1877 in Neuenhaus geboren. Sein Vater war der Leiter der Neuenhauser Rektorschule, Hauptmann a. D. August Staehle, seine Mutter Alberdina, geborene Wildeboer, stammte aus Meppel (NL). August Staehle war Gründer des Neuenhauser Kriegervereins.

Nach dem Abitur in Osnabrück schlug Wilhelm Staehle die Offizierslaufbahn ein. Von 1900 bis 1902 war der junge Leutnant an der Niederwerfung des so genannten Boxeraufstandes in China beteiligt. 1913 wurde er zum Hauptmann befördert und Kompaniechef eines Infanterie-Regiments.
Oberst Wilhelm Staehle - Bild: gemeinfrei
Im Ersten Weltkrieg wurde Staehle an der Westfront eingesetzt und mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse ausgezeichnet. 1916 folgte die Versetzung nach Berlin und die Ausbildung zum Abwehroffizier. 1917 wurde Staehle zum Nachrichtenoffizier der Obersten Heeresleitung beim Armee-Oberkommando 4 in Flandern ernannt.

Nach dem Ersten Weltkrieg beteiligte sich Staehle an der Niederschlagung des kommunistischen Spartakus-Aufstandes in Berlin. 1924 übernahm er die Leitung der Abwehrstelle im Wehrkreis VI (Münster), inzwischen war er zum Major und Generalstabsoffizier befördert. 1926 folgte die Ernennung zum Bataillonskommandeur in Celle.

1928 heiratete er Hildegard Stille, geborene Luther. Weil seine Ehefrau geschieden war, wurde Wilhelm Staehle nach dem Ehrenkodex der Reichswehr aus dem aktiven Dienst entlassen und zum Landesschutz versetzt. Im September 1931 hatte er in der Stellung eines Fürsorge-Referenten für Berlin im Wehrkreiskommando III für die im Dienst befindlichen Soldaten zu sorgen, insbesondere auch für entlassene und verwundete Soldaten und für pensionierte Offiziere und ihre Familien.

1934 wurde Staehle zum Oberst mit Wiedereinstellung als aktiver Offizier im neu geschaffenen Offizierskorps der "E"-(Ergänzungs) Offiziere befördert. Im Juni 1935 kam er in die Versorgungsabteilung des Reichswehrministeriums. Zwei Jahre später wurde er zum Reichsluftfahrtministerium versetzt. Als Luftwaffenoffizier konnte er über das übliche Pensionsalter hinaus im Dienst bleiben.

Am 8. November 1939 wurde Staehle zum Kommandanten des Invalidenhauses Berlin ernannt. Die Stiftung "Invalidenhaus Berlin" war eine Schöpfung Friedrichs des II. In Berlin-Frohnau war in den 1930er Jahren eine Siedlung mit 49 Wohngebäuden entstanden, in denen Wohnungen verschiedener Größen für Schwerbeschädigte, einem Verwaltungsgebäude mit Ehrensaal und ein Kommandantenhaus untergebracht waren. Staehle und seine Ehefrau waren sozusagen das "Bürgermeisterpaar" der Siedlung. Vor allem Frau Staehle kümmerte sich um die Ernährung und Betreuung der Invaliden.

Dem Nationalsozialismus standen Staehle und seine Frau ablehnend gegenüber. Beide gehörten zu den ständigen Hörern der Predigten Martin Niemöllers (1892-1984), einem führenden Kopf der "Bekennenden Kirche". Staehle sagte über Hitler: "Dieser Mann ist unser Unglück, ein Wahnsinniger; er führt Deutschland dem Ende zu".

Seit etwa 1937 gab es eine Verbindung zu dem ehemaligen Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Goerdeler (1884-1945). Durch den katholischen Pfarrer der Invalidensiedlung, Prof. Friedrich Erxleben, kamen Staehles in Kontakt mit Besuchern des Hauses der Witwe des Botschafters Solf, wo ein Kreis von Regimekritikern zusammentraf. Seit etwa 1937 hatte er auch Kontakt zu einer konservativen Bentheimer Widerstandsgruppe, zu der sein Neuenhauser Jugendfreund Arnold Brill gehörte. Durch ihn kam Staehle mit dem niederländischen Widerstand in Verbindung.

Arnold Brill hatte Staehle um Hilfe gebeten, als 1940 der niederländische Lehrer Piet Duinkerken, Leiter der Schule in Barger Compascuum, verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt worden war. Staehle konnte die Freilassung Duinkerkens erreichen.

Der niederländische Historiker Ger van Roon beschreibt die Rolle Staehles im Hinblick auf die Niederlande so:
Nach der Eroberung der Niederlande benutzte er seine Dienstreisen in das Nachbarland auf der Suche nach geeigneten Einrichtungen für Verwundete, um Verbindungen mit niederländischen Politikern und Widerständlern anzuknüpfen. So hatte er durch Vermittlung von Angehörigen im August 1940 eine Unterredung mit dem früheren mehrfachen Ministerpräsidenten H. Colijn. Ihm und anderen bot er Hilfe und Vermittlung an. Auch informierte er über die Absichten der deutschen Widerstandsbewegung. Ende 1943 hatte er in Coevorden eine Unterredung mit einigen Widerstandsführern. Er erbat ihre Mitwirkung in der Übergangszeit nach einem gelungenen Attentat auf Hitler. Diese Bitte wurde an die niederländische Exilregierung in London weitergeleitet mit einer Befürwortung. Aus London kam allerdings eine negative Reaktion.

In Berlin sorgten Staehle und seine Ehefrau für die Insassen der Invalidensiedlung, aber auch in Verbindung mit dem evangelischen Pfarrer Heinrich Grüber für verfolgte Juden, für polnische und französische Zwangsarbeiter, für niederländische Kriegsgefangene und für Verfolgte des Dritten Reiches.

Am 12. Juni 1944 wurde Wilhelm Staehle verhaftet. Seine Ehefrau wurde später ebenfalls inhaftiert. Man warf beiden die Beteiligung an oppositionellen Gesprächen im Solf-Kreis vor. Zuvor war Staehle bereits zu einer Vernehmung bestellt worden, da die Gestapo seine Kontakte zum niederländischen Widerstand entdeckt hatte. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde seine Haft wegen angeblicher Mitwisserschaft verschärft, er wurde schwer misshandelt.

Erst am 16. März 1945 fand eine Verhandlung vor dem Volksgerichtshof statt. Das Gericht mußte von der Anklage des Hoch- und Landesverrats absehen, verurteilte ihn aber wegen Begünstigung eines politischen Flüchtlings zu zwei Jahren Gefängnis. In der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 wurde Wilhelm Staehle von Angehörigen der SS durch Genickschuss in Berlin ermordet. Russische Truppen befanden sich bereits in der Stadt.

Seine Frau Hildegard überlebte die Inhaftierung, sie starb am 16. Dezember 1945 in Berlin an den Folgen eines Autounfalls.

Quellen:
- Ger van Roon, Wilhelm Staehle. Ein Leben auf der Grenze 1877 - 1945, München 1969 (fotomechanischer Nachdruck Neuenhaus 1986).
- Gerd Steinwascher, Eine bürgerliche Widerstandsgruppe im Kreis Bentheim in der NS-Zeit, in: Bentheimer Jahrbuch 1996, Bad Bentheim 1995, S. 207-220.

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