Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Bauernraete

Helmut Lensing

Bauern- und Landarbeiterräte im Bentheimer Land

Als in Berlin nach der Abdankung des Kaisers SPD- und USPD-Vertreter die Macht übernahmen, schrillten bei den Bauern und der Landbevölkerung alle Alarmglocken. Beide Parteien standen für die Einführung einer sozialistischen Planwirtschaft und forderten dazu in ihren Parteiprogrammen die Enteignung aller Produktionsmittel in Privatbesitz. Als dezidierte Interessenvertreter der Fabrikarbeiter waren diese Parteien schon zuvor die Gegner der konservativ-agrarisch orientierten Landbevölkerung gewesen, bekämpften beide darüber hinaus auch noch das Christentum und die Religion überhaupt.
Landarbeiter im Jahre 1917 - Bild: Bundesarchiv_Bild_183-H28233,_Herbstfurche,_Pferdegespann - CC BY-SA 3.0
Insbesondere der neue preußischen USPD-Kultusminister Adolf Hoffmann erregte mit seinen Maßnahmen zur Beseitigung des Christentums in der Öffentlichkeit und einer Aufhebung der Konfessionsschule die Gemüter der christlichen Bevölkerung.

Ende November 1918 erschien deshalb in der Presse ein Aufruf landwirtschaftlicher Spitzenverbände, der die Bemühungen staatlicher Stellen zur Bildung von Bauern- und Landarbeiterräten aufnahm und die Landbevölkerung aufforderte, in Zusammenarbeit mit den Behörden auf allen Ebenen zur Selbsthilfe und zur Regelung zeitbedingter Probleme Bauern- und Landarbeiterräte zu bilden. Nicht zuletzt sollte damit ein konservatives Gegengewicht zu den häufig unter SPD- oder USPD-Kontrolle stehenden Arbeiter- und Soldatenräten der Großstädte geschaffen werden.

Dadurch forcierte sich im Dezember 1918 – schon mitten im politischen Kampf für die Wahlen des Januar 1919 – das Tempo bei der Bildung von Bauernräten. Aus Lage überliefert dazu die örtliche Schulchronik, geführt vom Lehrer Ludwig Sager, der selbst Mitglied des dortigen Bauernrats wurde: Als ein Kind der Revolution trat hier am 12. Dezember ein Bauernrat ins Leben, Halle, Hardingen und Brecklenkamp schlossen sich dem an. Er hält es für seine Aufgabe, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, bei Ablieferungen landwirtschaftlicher Produkte die Regierung zu unterstützen und die landwirtschaftlichen Interessen zu vertreten.

In der Obergrafschaft nahm Landrat Hermann Kriege das Heft persönlich in die Hand. Bereits am 10. Dezember 1918 meldete Kriege dem Regierungspräsidenten in Osnabrück die vollzogene Gründung von Bauernräten in 19 Gemeinden der Obergrafschaft, womit er hier sämtliche Dörfer erfasst hatte.

In der Niedergrafschaft war der Bauern- und Landarbeiterrat von Emlichheim und Umgebung Vorreiter dieser Bewegung. Er wurde bald nach der Gründung des örtlichen Soldatenrats ins Leben gerufen, was deutlich seine Funktion als Gegengewicht zu diesem Revolutionsorgan aufzeigt. Damit trat in der Grafschaft die Landwirtschaft als politisch handelndes Subjekt in den Meinungsstreit ein.

Da es in der Grafschaft kaum Landarbeiter gab, nannten sich diese Organe anfangs zwar noch wie auf Reichsebene Bauern- und Landarbeiterrat, doch anstelle von Landarbeitern vertraten hier die Heuerleute und Knechte die ländliche Unterschicht. Im Gegensatz zu den städtischen Arbeiter- und Soldatenräten sind die Bauern- und Landarbeiterräte weitgehend unerforscht – auch im Bentheimer Land.

Während sich bereits am 4. Dezember ein zentraler Grafschafter Arbeiter- und Soldatenrat unter Leitung des Schüttorfer Arbeiterratsvorsitzenden Robert Neumann-Hofer gebildet hatte, der somit der Ansprechpartner auf Seiten der Arbeiterschaft für die Verwaltung war, dauerte ein Zusammenschluss auf bäuerlicher Seite länger.

Ende Dezember 1918 beschlossen Landwirte auf einer Versammlung des Nordhorner Landwirtschaftlichen Vereins, einen gemeinsamen Bauernrat für die Stadt und Umgebung zu gründen, denn es sei besser, dass die sieben Gemeinden mit einer Stimme als mit mehreren verschiedenen sprächen. Man bildete deshalb ein Führungsgremium aus Vertretern der betreffenden Gemeinden und beauftragte dieses, einen Kreisbauernrat zu gründen, der mit dem AuS-Rat kooperieren solle. Wohl wegen der Wahlen im Januar 1919 zur Nationalversammlung und zur Preußischen Landesversammlung geschah zunächst nichts.

Erst Ende Februar 1919 wurde dann auf einer Sitzung des inzwischen gebildeten Niedergrafschafter Bauernrats auf Anregung von Ludwig Sager, der als Delegierter für Lage anwesend war, die Bildung eines Grafschafter Zentral-Bauernrats in Angriff genommen.

Die Konstituierung fand Anfang März in Nordhorn unter Leitung von Landrat Kriege statt. Der zehnköpfige Vorstand bestand aus fünf Bauern und fünf Heuerleuten, Knechten und anderen ländlichen Berufen wie Viehhändler. Für die Gruppe der Bauern übernahm Hindrik Jan Smidderk (auch Schmitderk) aus Emlichheim den Posten des ersten und Bernhard Joostberens/Joostberend aus Ohne als Vertreter der Heuerleute und Knechte das Amt des zweiten Vorsitzenden.

Das wichtigste Arbeitsfeld des Grafschafter Zentral-Bauernrats waren Verhandlungen über die staatlichen Vorgaben zur Ablieferung landwirtschaftlicher Produkte, die Behebung von Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Düngemitteln, die Schmuggelbekämpfung, die Lebensmittelversorgung der Arbeiter und auf bäuerlicher Seite die Organisation der Viehablieferung für die Alliierten.

Gerade die Schmuggelbekämpfung und die Versorgung der Arbeiter in Nordhorn und Schüttorf mit ausreichenden und billigen Lebensmitteln machten ständige Verhandlungen mit dem Zentralarbeiterrat und der Kreisverwaltung notwendig. Ein Ärgernis für die Landwirte waren überdies Revisionen der Höfe, ob dort nicht angemeldete oder nicht abgelieferte Lebensmittel lagerten, was neben staatlichen Stellen auch Abgesandte von Arbeiter- und Soldatenräten vornahmen, gelegentlich gar aus fernen Städten und rein aus eigener Machtvollkommenheit.

Da die Lebensmittelnot mit ihren zahlreichen Hamsterern aus den Großstädten und die umherstreifenden demobilisierten Soldaten die Sicherheitslage auf dem Land seit Anfang 1919 stark gefährdete, unterstützten die Bauernräte die Bildung von Sicherheits- und Einwohnerwehren.

Als durchaus willkommener Nebeneffekt dienten diese bewaffneten ländlichen Wehren zugleich als militärisches Gegengewicht zur den Arbeitern in den Städten, die gelegentlich unter der Führung von Agitatoren Bauernhöfe etwa in der Nordhorner Umgebung regelrecht überfielen.

Am 15. März 1920, nachdem sich seit Monaten schon landwirtschaftliche Organisationen darum bemühten, die Grafschafter Landwirte organisatorisch zu erfassen, wurde der Vorstand des Zentralbauernrats noch einmal neu gewählt. Smidderk blieb erster Vorsitzender. Zwar hatte kurz zuvor der Kreistag die Gelder für den Zentral-Arbeiter- und den Zentral-Bauernrat zum 1. April gestrichen.

Doch anschließende Verhandlungen erreichten ein Weiterbestehen des Zentral-Bauernrats. Er verkleinerte sich aber von zehn auf sechs Vorstandsmitgliedern. Anschließende Versammlungen – auch mit den örtlichen Obmännern – beschäftigen sich mit dem Richtpreis für Eier oder der Lebensmittelhilfe für die Nordhorner und Schüttorfer Arbeiter.

Nachdem der Grafschafter Zentral-Bauernrat noch im Juni 1920 eine Kundgebung gegen die Zwangswirtschaft veranstaltet hatte, verstummt die Berichterstattung über ihn. Nun ging die Vertretung landwirtschaftlicher Interessen auf die neu geschaffenen Landwirtschaftsverbände über, auf den Landwirtschaftlichen Kreisverein als Unterabteilung des christlich orientierten „Emsländischen Bauernvereins“ für die Bauern, auf den „Verband Christlicher Heuerleute“ für die ländlichen Unterschichten und auf den „Deutschen Bauernbund“ für die Kleinlandwirte.
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