Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Podagristen01

Der Reisebericht der drei Podagristen

Im Jahre 1843 unternahmen die Herren Van der Scheer, Boom und Lesturgeon eine dreitägige Reise, die sie durch drei Königreiche führte: Von Coevorden im Königreich der Niederlande ging es zunächst über Neuenhaus, Nordhorn und Bentheim, die damals im  Königreich Hannover lagen, bis Burgsteinfurt im Königreich Preußen. Auf dem Rückweg wurden die Orte Schüttorf, Bentheim, Gildehaus, Neuenhaus und Wilsum angesteuert. Die Reisenden werden als die drei "Podagristen" (Gichtkranke) bezeichnet. Angeblich suchten sie Heilung im Bentheimer Bad. Doch sie hielten sich dort kaum auf. Hier der 1. Teil ihres ausführlichen Reiseberichts (leicht gekürzt):
Denkmal für die drei Podagristen vor dem Kurhaus Bad Bentheim - Bild: AB
Noch einmal blickten wir an der Grenze nach Coevordens Türmchen zurück, und bei Sonnenaufgang betraten wir das Land von Ernst August, aber es störte uns ein feiner Sprühregen. ... Im Zollhaus schlief der Einnehmer noch. Wir hätten ihn nicht wecken brauchen; denn wir hatten wie manche Hannoveraner keine eingeschwärzte Ware im Hut, in der Hose oder in den Stiefeln, aber wir taten unsere Pflicht und meldeten uns.

Bis die Zeit mit der Öffnung der Tür verging, klopften wir an das Fenster der gegenüberliegenden Wirtschaft. ... Der Wirt war bereit, uns wegen des Regens mit einem Wagen nach Emlichheim zu befördern, obgleich er kein berufsmäßiger Fuhrmann war. Seine Rappen zogen uns bald über den moorigen Deich; rechts von uns blieb Laar liegen, halbrecht die Bauerschaft Echteler mit ihren hohen Bäumen, zwischen denen in weiter Ferne die Anhöhen des Kirchspiels Uelsen grau hindurchschimmerten. ... Nach einer Stunde genossen wir im Hause Koops eine gute Tasse Kaffee. Das Dorf liegt weit ausgebreitet; wer Kopf oder Schwanz daran feststellen kann, ist glücklicher als wir.

Die Häuser liegen in vollkommenster Unordnung durcheinander, und die Straßen sind mühsamer zu begehen als der Balkan. Vom Turm der reformierten Kirche würde man sicher einen schönen Rundblick haben, aber wegen des Regens verzichteten wir darauf. An der Kirche wirkten wie in den meisten hannoverschen Städtchen und Dörfern zwei Prediger und genießen in hohem Grade allgemeine Achtung.

Anmerkung: Es kostete sie 1 1/2 Cent, die Vechte zu überqueren, denn eine Brücke gab es nicht. Über einen schnurgeraden Deich gelangten sie nach mehreren Stunden in Haftenkamp an, wo sie sich in einer Herberge an Zitronenlimonade labten. Sie wunderten sich über den riesigen Rauchfang, unter dem ein Torffeuer brannte und die mächtigen Sandsteine, aus denen die Wand hinter dem Herd bestand. Die Neuenhauser Windmühle ließen sie rechts liegen. Sie wunderten sich über das Stadttor Uelser Tor.  Die Windmühle im damaligen Hilten wurde von der Familie Voshaar betrieben. Das Bild zeigt die Mühle kurz vor ihrem Abbruch vermutlich in den 1930er Jahren. Sie stand in der Nähe des evangelischen Friedhofs.

... Warum dieser halbverfallene Steinhaufen noch steht, leuchtete uns nicht recht ein; eine einfach Wegeschranke hätte zur Sperrung auch genügt. Bei Herrn G. in der Stroth tranken wir eine gute Tasse Kaffee; es ist wahr, daß die Hannoveraner einen vorzüglichen Kaffeegeschmack haben, und daß die Holländer ihre besten Bohnen über die Grenze schicken. ... Nachher machten wir einen Rundgang durch das Städtchen, das einem Mischmasch von einigen hübschen, vielen guten und etlichen weniger guten Häusern gleicht. ... auffallend erschien uns die Wohnung des Apothekers und noch mehr sein Vorrecht, im weiten Umkreis ohne Wettbewerb sein zu dürfen. ...

Die Behausung des Pfandleihers stach von der des Apothekers gewaltig ab. ... An der Kirche ist der Gildehauser Stein nicht gespart; das Gebäude ... macht inwendig einen erfreulichen Eindruck und ist gut erhalten. Die steinerne Kanzel ist hübsch, auch die Orgel ist gut, nur das Gewölbe schreit dringend nach einer verbessernden und verschönernden Hand. Stühle sind nicht vorhanden, wohl aber viele, zum Teil recht unbequeme Bänke, und einzelne Fußbänke sind mit Ketten befestigt, die groß genug für Ochsen wären. Von den noch neuen Kirchenfenstern läßt sich mit dem besten Willen nichts Bemerkenswertes sagen. ... Die katholische Kirche ist unansehnlich. ...

Viele Häuser haben an der Straßenseite eine breite Tür für die Ackerwagen; ... Um die Stadt sind Spazierwege angelegt, die die Sonntagnachmittage verkürzen helfen. Die Wassermühle ist fürstlicher, die Windmühle privater Besitz. Letztere stammt aus der Zeit der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. ... Bemerkenswert ist, daß es in Hannover noch eine Kopfsteuer gibt, die jeder über 15 Jahre alter Staatsbürger zu entrichten hat. ... Der Ort ist übrigens eine Brutstätte für Amsterdamsche Dienstmädchen. ... Der Zug der weiblichen Jugend nach Hollands Hauptstadt ist zwar nicht mehr so stark wie früher, aber er ist doch noch immer nennenswert. ... Die Neuenhauser Mädchen sind als treu und fleißig bekannt, drum sind sie drüben zur Heirat sehr begehrt. ...

Die Masse der Neuenhauser Bevölkerung hat, abgesehen von der Straßenmusik, nur einmal im Jahr Gelegenheit, fröhliche Weisen zu hören, und das ist am Tage des Schützenfestes. ...

Auch Einwohner von Veldhausen und Lage nehmen daran teil; ... Mit 18 Jahren kann jeder Mann für einen Taler jährlich Mitglied werden. Dafür hat er das Recht, nach dem Vogel zu schießen und zwei Damen einzuführen. Fremde zahlen sechzehn Silbergroschen und für das Schießen acht außerdem. Ordentliche Mitglieder können zwei Herren, jeden für acht Groschen, einführen.

König kann nur der werden, der als Bürger, Einwohner oder Beamter in den genannten Orten wohnt. Kinder unter 14 Jahren und Hunde mitzubringen, ist nicht gestattet. Junge Leute von 14 bis 18 Jahren können am Fest teilnehmen, aber nicht am Festball. Die Damen und Herren tragen als Mitgliedszeichen ein Kreuz auf der linken Brust; Fehlende zahlen zwölf Groschen Strafe, die über 50 Jahre alten Mitglieder sind aber davon befreit.

Der Schützenverein hat einen Vorsitzenden, einen Schrift- und Kassenführer, einen Kommandeur, zwei Hauptleute (Kapitäne), mehrere Adjutanten und Fahnenjunker. Um acht Uhr morgens treten die Schützen, etwa 100 an der Zahl, bei der Grevenbrücke an; eine Abteilung holt die Fahne mit dem fürstlichen Wappen aus der Wohnung des Kommandeurs, und dann wird der im vorigen Jahr gekrönte König vom Vorsitzenden und Schriftführer in einem Viergespann abgeholt.

Beim Festzug ist darauf die Ordnung folgendermaßen:

1. Vorreiter, 2. der Königswagen, zu dessen Seiten reitende Ehrenbegleiter, 3. die Musikkapelle, 4. der Kommandeur, 5. die erste Abteilung Schützen, 6. das Fahnenrott, 7. die zweite Abteilung Schützen. Nach der Abholung der Königin beginnt das Schießen nach einem Adler und einer Scheibe. Der erste Schuß wird vom Vorsitzenden für den König von Hannover abgegeben, der zweite vom Kommandeur für den Fürsten Alexis, der dritte vom Sekretär zu Ehren der Stadt Neuenhaus, der vierte vom Kommandeur zu Ehren der Gemeinde Veldhausen, der fünfte Schuß vom Führer der zweiten Abteilung zu Ehren von Lage.

Folgende Preise sind ausgesetzt: auf das letzte Stück des Adlers acht Taler, auf den Kopf des Vogels ebensoviel, auf die Krone und das Szepter und die rechte Kralle sowie auf den Reichsapfel und den linken Greif je ein Taler. Nach dem Fallen des letzten Stückes wird ein Kreis gebildet, und unter präsentiertem Gewehr wird der König ausgerufen. Dieser wählt dann in möglichst vornehmer Haltung aus den Damen die Königin und Ehrendamen. Ein fröhlicher Ball im festlich geschmückten Saal beschließt das Fest, von dem, wie uns versichert wurde, jedesmal alle Teilnehmer, auch die Fremden, entzückt sind.

In Neuenhaus wird ein reger Kleinhandel betrieben. Die Dinkel begünstigt die Bleichereien, die, obwohl sie schon an Bedeutung verloren, einen wesentlichen Erwerbszweig bilden. Außerhalb der Stadt an den Toren wimmelt es von ‚Warnungen und Bekanntmachungen’. Man wird unter anderem gewarnt, nicht schneller als im Trabe durch die Stadt zu fahren. ...

Um nun unsern Weg fortzusetzen und wegen der schon vorhandenen Müdigkeit nahmen wir ... Wagen und Pferd eines Jan Stil in Anspruch. ... Er sollte für sich und seinen Gaul drei Gulden täglich erhalten. ... Der Gaul war zwar schon etwas alt und halbblind, aber nach der stolzen Versicherung des Besitzers sah er mit einem Auge mehr als manche mit beiden Augen. Eine edle Rasse war in dem Tier überhaupt nie verkörpert gewesen.

Wir nahmen dann Abschied von dem sehr zu empfehlenden Gasthof, kamen durch eine Wegeschranke an der Teichbrücke in den Vorort, von dem die Brücke ihren Namen hat. Seine Häuser stehen im schreienden Gegensatz zu denen des Städtchens; sie sind geradezu häßlich, und Neuenhaus kann gewiß nicht stolz auf diese Nachbarschaft sein.


Quelle: Die Reisebeschreibung der drei Podagristen aus dem Jahr 1843, als PDF-Datei auf der Seite http://www.grafschaft-bentheim.de/cms/modules/files/download.php?id=781, abgenommen am 12. April 2012
Die im Text erwähnte Windmühle stand in Hilten - Bild: privat
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