Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Nhs-1940

Ludwig Sager

Die Chronik des 2. Weltkrieges in Neuenhaus 1940


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7.1.1940: Heftiger Frost, schon vor Weihnachten 15° unter Null. Die Dinkel hält.

13. 2.1940: Ungemein strenger Winter, diese Tage 23° minus. Klirrender Frost. Eis und Schnee legten sich um die Erde. Nordische Gäste an Dinkel und Vechte: Schwäne, Gänse, Taucher werden, halb verhungert, oft leichte Beute. Kohlenmangel, Verkehr stockt.

Gestern rückte hier das 1. deutsche Kavallerie-Regiment ein, Standort Königsberg. — Mensch und Tier, von Richtung Lingen kommend, vom Frost furchtbar mitgenommen. Funker liegen seit November in Neuenhaus. In Nordhorn und Schüttorf sollen Tanks stehen: wo geht's hinaus?

22. 4.1940: In Norwegen nahm der Krieg ein phantastisches Tempo. Wir dachten eher an Holland, wo man seitdem ganz nervös ist und Hindernisse baut. Stacheldraht trennt nun die Menschen, die blutsmäßig zusammengehören. Drüben hocken die niederländischen Freunde, wir diesseits. Die Tabakdose wandert friedlich durch den Draht. Eine neue Seite des Zusammenlebens der Grenznachbarn.

Diesseits der Grenze liegt alles voll Militär, Train aus Ostpreußen. Die Soldaten geben der Stadt das Gepräge, jedes Mädchen hat seinen Soldaten.

7. 5. 1940: Der Lager Busch ist ein Heerlager geworden.

10. 5.1940: Der Krieg trat in ein neues Stadium, Holland ist mit hineingezogen. In der Morgenfrühe dröhnten heute die Motoren der Flieger und weckten uns, dann Erschütterungen, die Scheiben klirrten. Sprengungen der Brücken? Einschläge? Neuenhaus fiebert schon seit dem gestrigen Nachmittag, als die hier in Garnison liegenden Truppen plötzlich Alarm hatten. Während der Schulrat in der Schule eine Lehrerdienstversammlung abhielt, wurden auf dem Hofe die Motoren angeworfen: „Wir rücken ab! Es geht los!"

Und nun dröhnte der Schritt der Kolonnen bis in die späte Nacht. Reiter, Wagen, Pioniere, Geschütze, alle Richtung Hardenberg — Holland. Was soll werden? Alt und jung auf den Beinen. Wagengerassel, Rattern und Klappern in Dunkelheit und Regen, ab und zu Aufleuchten von Taschenlampen, Kommandos und Geschimpfe. Volk, wie bei der Bühne Statisten und Zuschauer, säumte die Straßen ein. Hier und da letztes Grüßen und Abschiednehmen der Mädchen von der Kavallerie, einschließlich Prinz Reuß, ein sehniger Rittmeister, das gesellschaftliche „Ass" des vornehmen Ziethen-Regiments. (Ist in Holland gefallen.)

Früh am Morgen — wer konnte schlafen? — Fliegeralarm. 8 Uhr Erklärung der Reichsregierung: „Die gefährdete Neutralität von Holland und Belgien, von den Westmächten bereits verletzt, soll sicher gestellt werden." Also Krieg mit Holland. Ich sprach Grenzbewohner, für sie ein unfassbarer Gedanke. Man weiß im Inlande nicht, wie wenig hier von altersher der Grenzstrich bedeutet. Da stehen sich nun Freunde und Verwandte als Feinde gegenüber; es ist bitter.

13. 5. 1940: Ich war heute bei den Freunden an der Grenze, wo Stacheldraht die Menschen trennt, die von Jugend an Seite an Seite lebten und arbeiteten. Für meinen jungen Freund H. J. B. kam die Einberufung aus dem nun besetzten holländischen Gebiet um einen Tag zu früh. Er fuhr am 9. 5.1940 von der grünen, friedlichen Heimat in den brodelnden Hexenkessel nach Südholland. Er muss schießen und weiß auf der anderen Seite seine Schulkameraden, mit denen er 8 Jahre die Lager Dorfschule besuchte.

26.5.1940: Wir bangen uns um manchen lieben Jungen, sehen dem Briefboten, an 1914-18 denkend, Herz klopfend entgegen. Neffe D. aus Gladbach gefallen. Mein junger holländischer Freund schreibt gut aus deutscher Gefangenschaft, mit seinem Deutsch aus der Lager Schule käme er fein zurecht. Seinetwegen hatten wir an der Grenze oft die Köpfe zusammengesteckt und beraten, was zu tun.

2.6.1940: Das Warten auf Nachricht von den Soldaten ist oft beängstigend. Die letzte Neuenhauser Truppe, die Funker, verließ am 30.5.1940 unsere Stadt, da ist's still und leer geworden.

26.6.1940: Seit 25.6. Waffenstillstand mit Frankreich. Viele Transportzüge mit Gefangenen, die nach dem Lager Bathorn gebracht werden. Flieger stören in den hellen Nächten, in Nordhorn, Lingen, Osnabrück und Münster werden oft die Luftschutzkeller aufgesucht; bei Schüttorf, Ohne, Salzbergen fielen Bomben, ohne viel Schaden anzurichten. Abends stehen oft Leuchtkugeln am Himmel, der Feind sucht die Flugplätze.

4.7.1940: Bomben auf Wietmarschen fielen meist ins Gelände, ließen uns im Bett hochfahren, als fielen sie in unmittelbarer Nähe. Wir „Heimkrieger" suchen nach dem Kartoffelkäfer und sammeln Drogen. Schule vom 29. 6. bis 11. 9. geschlossen, an einem Nachmittag der Woche werden Kräuter und Blätter gesammelt.

Bei den Gefangenentransporten viel farbige Franzosen, Neger vom Senegal, Marokkaner, die mit dem Gesicht nach Mekka knien, beten und die Erde küssen. Viele Zuschauer.

15. 7.1940: Die Spannung wächst: wann geht es nach England? Die Luftwaffe arbeitet vor.

1. 9.1940: Stimmen die Berechnungen nicht? England hat doch mehr Flugzeuge, als wir wussten.

23. 9.1940: Feindliche Einflüge nehmen große Ausmaße an, hier ist Einfluggebiet. Oft geht's nach Hamburg, Bremen, Berlin, zuweilen Osnabrück, Münster. Verwandte von dort waren mehrfach in Neuenhaus, um sich nach den Bombennächten einmal gründlich auszuschlafen.

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